express 12/2024 erschienen!

express 12/2024 erschienen!

Inhalt

Gewerkschaften Inland

Jürgen Schardt: »Sozialpartnerschaft: zähneknirschend?« – zum Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie   6

Johannes Specht: »Kein Respekt, aber elf Prozent mehr Lohn« – Tarifrunde Gebäudereinigungshandwerk beendet   7

Nikolai Huke: »Verführung zum Rechtsbruch« − ein Gespräch mit Justyna Oblacewicz über Arbeitsrechte in prekären Lebenslagen   3

Betriebsspiegel

Stephan Krull: »Lohnverzicht sichert keine Arbeitsplätze!« – zur Klassenauseinandersetzung bei Volkswagen   1

»Hey, wir müssen was anderes bauen!« – Diskussion zum Film »Verkehrswendestadt Wolfsburg«   4

Lars Hirsekorn, Johanna Schellhagen und Tobi Rosswog: »Dem Winter widerstehen, den Frühling erringen« – Ex-GKN Florenz gründet Genossenschaft   6

Wolfgang Hien: »Chemische Industrie im deutschen Faschismus und I.G. Auschwitz« – eine Erinnerung, Teil I   13

Politik und Debatte

Torsten Bewernitz: »Das Sein bestimmt das Wahlverhalten?« – Anmerkungen zu »Klassenbewusstsein und Wahlentscheidung«   9

Nadja Rakowitz: »Das Gegenteil von gut« – zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz   10

Rudolf Walther: »Immer noch aktuell« – Tagung zu Oskar Negt am Institut für Sozialforschung   16

Bewegung mit Recht

René Kluge: »Die implodierte Ampel-Regierung« – Ein gefährliches Vakuum in der Beschäftigungspolitik  8

Kurzes

Leserbrief 12

Antipasti 5, 12

Dringliches 12

Editorial

Geneigte Leserinnen und Leser,

Science Fiction ist immer dann besonders interessant, wenn sie in sehr naher Zukunft spielt. Beispielsweise Matt Ruffs 1998 erschienene »Trilogie der Stadtwerke«, das im vergangenen Jahr 2023 spielt, in dem eine Künstliche »Intelligenz« (Problem: sie ist tatsächlich intelligent) aus dem Hause Disney und vor allem von Ayn Rand inspirierte Ultra-Kapitalisten eine we­sentliche Rolle spielen. Mit entsprechendem zeitlichen Abstand als Gegenwartsroman gele­sen, ergibt das einige Aha-Effekte und einige (manchmal zynische) Lacher bezüglich der nicht in Erfüllung gegangenen Vorhersagen. So ist in Matt Ruffs 2023 beispielsweise (Ach­tung Spoiler!) Donald Trump tot.

Ähnlich ging es auch dem Filmkollektiv labournet.tv, das 2022 in »Der laute Frühling« die soziale Revolution auf das laufende Jahr 2024 verlegte. Die dargestellte Vereinbarung mit russischen Arbeiterräten über die weitere Lieferung von Gas erschien schon wenige Wochen nach Erscheinen in einem anderen Licht. Eine Szene ist aber bei allem utopischen Charakter nicht so weit entfernt von den tatsächlichen aktuellen Ereignissen:

»Hi. Wir sind hier bei VW in Wolfsburg. Die Arbeiter:innen hier brauchen unseren Support. Sie haben gestern die Fabrik besetzt und sind seitdem hier vor Ort, um die Maschinen zu be­wachen. Jetzt kommt immer mehr Polizei und wir haben eben auf der Brücke sogar einen Panzer gesehen. Es ist essenziell wichtig, dass wir diese großen Fabriken nicht verlieren, denn hier kann praktisch alles produziert werden, von Beatmungsgeräten bis zu Solarzellen. Wir brauchen hier dringend viel mehr Unterstützung. Kommt zu Tor 5 […].«

Wenn es in naher Zukunft tatsächlich ähnlich klingen sollte, hätte das zwar einen anderen Hintergrund, aber ebenso viel mit der aktuellen Klimapolitik zu tun wie in dem zitierten Film. Das wird in Stephan Krulls Überblicksartikel zur Situation bei VW deutlich (S. 1). Ergänzt haben wir den Beitrag durch ein gekürztes Skript einer Diskussionsveranstaltung, die labour­net.tv zu dem neuen Film »Verkehrswendestadt Wolfsburg« am 5. November 2024 durchge­führt hat (S. 4).

Nachrichten von Stellenabbau und Protesten dagegen, vor allem in der Autoindustrie, haben sich in den vergangenen Wochen gehäuft. Das wird sicher nicht zur sozialen Revolution füh­ren und für einen heißen Herbst ist es ein wenig spät. Vielleicht aber lässt sich tatsächlich ein etwas lauterer Frühling als üblich einleiten. Immerhin könnten auch die TVöD-Runde Bund und Kommunen und der – egal in welcher Regierungskoalition – geplante Sozialabbau eine Rolle spielen. Anlässlich der zur Wahl stehenden Alternativen für Deutschland lässt dies zu­mindest  express-Redakteur Torsten Bewernitz jedoch recht wenig erwarten (S. 9).

Aber so oder so: Da kommen soziale Kämpfe auf uns zu. Also vorher noch mal im warmen Winterstübchen mit einer heißen Tasse Aufputschmittel vor den flackernden Weihnachtsker­zen den express durchstudieren – und dabei auch den beigelegten Spendenbrief bitte beachten. Wir wünschen einen geruhsamen Jahresausklang.

Bildnachweis

Für die Diskussion über den sog. Rechtsruck (der so ruckartig nicht ist), die Wählerbasis der AfD und rechte Orientierungen auch unter Lohnabhängigen und in Gewerkschaften kann die Beschäftigung mit dem Aufstieg der NSDAP und der Machtbasis bzw. Trägerschaft des Nationalsozialismus hilfreich sein – dazu haben wir in dieser Ausgabe zwei Beiträge: zur Rol­le des Mittelstands in ländlichen Kleinstädten und zur Rolle der Chemieindustrie. Beide trotz unterschiedlicher Motive Profiteure und Akteure der Abschaffung von Arbeits- und Sozial­rechten, der Vernutzung von bis hin zur Vernichtung durch Arbeit, die ihren systematischen Ausdruck im KZ Mauthausen mit seiner berüchtigten »Todesstiege« im Granitsteinbruch der »Deutschen Erd- und Steinwerke« fand. Die Einbettung des KZs in die lokale und nationale Ökonomie, ebenso wie den unverhohlenen Voyeurismus, den die örtliche Bevölkerung bei der Beschau der »schwerbelasteten, unverbesserlichen und auch gleichzeitig kriminell vorbestraf­ten und asozialen, das heißt kaum noch erziehbaren Schutzhäftlinge« (Heydrich) auf dem Weg zu ihren Arbeitsplätzen (u.a. bei Steyr-Daimler-Puch oder den Reichswerken Hermann Göring, heute Voest in Linz) an den Tag legte, schildert die Grafic Novel »Der Fotograf von Mauthausen«. Rund 120.000 der knapp 200.000 Inhaftierten kamen durch das Zwangsarbeits­programm in Mauthausen und seinen Außenlagern ums Leben. Dass es Überlebende gab und dass diese trotz aller Bemühungen der Nazis, Beweise zu vernichten, berichten konnten, ist einer Widerstandsgruppe zu verdanken, der auch der Spanier Francisco Boix angehörte. Unter schwierigsten Bedingungen gelang es ihnen, Negative von Fotos, die Boix im Auftrag des SS-Hauptscharführers Ricken anfertigte, aus dem Lager zu schmuggeln. Dessen Interesse an ei­ner Ästhetisierung des Todes wurde in den Händen der Widerständler so zu einer Flaschen­post, die zwar nicht von der KP, aber – viel später – u.a. in den Nürnberger Prozessen genutzt werden konnte. So viel zum Totalitarismus.

Herzlich bedanken möchten wir uns bei bahoe books für die Überlassung der Illustrationen, die hoffentlich dazu anregen, die ganze Geschichte zu lesen – samt 50 Seiten sehr informati­vem Anhang.

Salva Rubio (Szenario) / Pedro J. Colombo (Illustration) / Aintzane Landa (Colorierung): Der Fotograf von Mauthausen. bahoe books, Wien. ISBN: 978-3-903290-00-6, 144 Seiten, 29,80 Euro

express 7-8/2023 erschienen!

express 7-8/2023 erschienen!

Inhalt

Gewerkschaften Inland

Nuria Cafaro: »Die einzige Waffe ist der Streik?« – Ein Rückblick auf die »wilden« Streiks 1973 4

Ulrich Maaz: »Transformation, Fachkräftemangel, Digitales und mehr?« – Gewerkschaftsspiegel     10

Ver.di / GEW / DBSH: »Wo Soziale Arbeit drauf steht, muss auch Soziale Arbeit drin sein!« − Entprofessionalisierung als Antwort auf Personalnot     15

Betriebsspiegel

GK ZAUM: »Verkehrswende jetzt« − für Klimaschutz und gutes Leben. Diskussionsangebot des Gesprächskreises Zukunft Auto Umwelt Mobilität der RLS     1

Die Bahn kommt… aber nicht von allein: Zu Besuch in der Verkehrswendestadt Wolfsburg. Ein Gespräch mit Tobi Rosswog 2

Karen Spannenkrebs: »Zu wenig, zu viel, genug Gesundheitsfachkräfte?« − Über die internationale Anwerbung von Pflegekräften und Ärzt:innen 8

vdää*/CEBES: »Pflege neokolonial« − Positionspapier zur Anwerbung von brasilianischem Gesundheitspersonal in Deutschland     9

Marcus Schwarzbach: »Lobbyismus statt Streiken?« − Unternehmen treiben Digitalisierung voran, Diskussion über Tarifverträge zu KI fehlt     18

Politik & Debatte

Renate Hürtgen: »Das Schlimmste aber ist diese linke Überheblichkeit« − Replik auf Daniel Kreutz (SoZ 5/2023)     19

Internationales

Guido Caldiron: »Die Polizei, dein Feind und Mörder« − Die Pädagogik der Unterdrückung führt Frankreich in die Katastrophe. Gespräch mit Alain Bertho     11

Ingrid Artus: »Lila, laut und massenhaft« − Ein Bericht vom Schweizer Feministischen Streik in Zürich     12

Samuel Kammermeier, Peter Haumer: »Streikwelle in Ganztagsschulen Österreichs« − Der Kampf der Freizeitpädagog:innen sorgt für Aufsehen     14

Re-visited

»Alaaf statt brav« − Wiedergelesen: eine Analyse des express von 1974 zu den »wilden« Streiks bei Ford Köln     6

Kultur und Buch

Andreas Bachmann: »Weder Streikrepublik noch Streikwüste« − Heiner Dribbusch legt ein Buch zur Arbeitskampfentwicklung seit 2000 vor     16

Juliane Huber: »Archiv der Lebensschicksale« − Eröffnungsrede zur Ausstellung »Kofferkinder« (Bildstrecke)     20

Nachruf

Anne Allex, 1958 – 2023 19

Editorial

Geneigte Leserinnen und Leser,

bereits im Mai wollten wir anlässlich der Streikkonferenz das 50-jährige Jubiläum der »wil­den« »Gastarbeiter«-Streiks Revue passieren lassen. Das hat nun mit Nuria Cafaro die Mode­ratorin der dortigen AG zu just diesem Thema übernommen (S. 4). Ergänzt haben wir ihre Rückschau durch ein Zeitdokument: das Kapitel über Ford Köln im August 1973 aus dem 1974 vom damaligen express-Redaktionskollektiv herausgegebenen Buch »Spontane Streiks 1973« aus der »Reihe Betrieb und Gewerkschaften« (S. 6).

Aber das Thema historische »Gastarbeit« ist mit dem Thema »Streik« nicht abgedeckt – so wollte und will es höchstens die Kartoffel-Linke gerne haben. Deswegen freuen wir uns be­sonders, mit den Aquarellen von Fatma Biber-Born ein anderes, eher unterbelichtetes Thema dieser Geschichte fokussieren zu können: die Geschichte der daheim gebliebenen Familien­mitglieder, konkret der sogenannten »Kofferkinder«. Die ehemalige Rewe-Betriebsrätin Fat­ma Biber-Born ist in die Türkei gereist, hat mit den (heute 45 – 65-jährigen) Kindern gespro­chen und – angesichts der Qualität der Originale – die damaligen Kinderfotos abgemalt. Ne­benbei bemerkt ist auch die Frage der daheim gebliebenen Ehepartner:innen (in der Regel Ehefrauen) ein spannender Aspekt der Geschichte der Reproduktionsarbeit. Dazu aber viel­leicht ein anderes Mal, für dieses Mal haben wir einen ausführlichen Bericht des Schweizer feministischen Streiks von Ingrid Artus vorliegen (S. 12).

Migration und Reproduktionsarbeit liegen nah beieinander, ach was, überlappen sich – 1973 wie heute. Karen Spannenkrebs setzt in der aktuellen Ausgabe die Beschäftigung mit heutigen »Anwerbeabkommen« in der Pflege fort (S. 8), ergänzt durch ein Positionspapier unserer Freund:innen vom Verein demokratischer Ärzt*innen (vdää) zur Anwerbung brasilianischer Gesundheitsarbeiter:innen (S. 9).

Gemeinsam mit einem Statement der zuständigen Gewerkschaften zu den Zuständen in der Sozialen Arbeit (S. 15) und einem Bericht von den Streiks der österreichischen Freizeitpäd­agog:innen (S. 14) ist die Sommerausgabe damit recht »care-workig« geworden – auch Mar­cus Schwarzbachs Beitrag zur KI (die an dieser Ausgabe des express erneut nicht beteiligt war!) berührt das Verhältnis reproduktiver und produktiver Arbeit (S. 18).

»Das alles und noch viiiiel meeeah…« passt mal wieder nicht auf die üblichen 16 Seiten des express. Diesmal haben wir aber ganz regulär 20 Seiten produziert, denn ihr haltet die Som­mer-Doppelausgabe in der Hand. Dass der express nicht dicker aussieht als sonst, liegt daran, dass wir von Februar bis Juni immer zu viel produziert haben. Soll heißen: wir lesen uns erst im September wieder. Solange verbleiben wir als Eure Redaktion »zwischen den (Sonnen-)Stühlen«, jedoch nicht, ohne zu guter Letzt noch mal auf den beiliegenden Spendenaufruf hinzuweisen (spät, aber kommt!) und coole Urlaubslektüre für hitzige Debatten in klimatisierten Zeiten zu wünschen.

Bildnachweis

Die Ausstellung »Kofferkind« von Fatma Biber-Born beschäftigt sich künstlerisch mit dem Schicksal zurückgelassener Kinder, deren Eltern als Gastarbeiter:innen in den 1960er und 1970er Jahren nach Deutschland kamen. Die Kinder blieben oft bei Großeltern, Tanten, Onkeln oder Nachbar:innen im Heimatland zurück. Sie wuchsen ohne Eltern auf. Ein Schicksal, das schätzungsweise 700.000 Kinder türkischer Gastarbeiter:innen teilen.

Dazu hat Fatma Biber-Born einige der damaligen »Kofferkinder« getroffen, mit ihnen über das Erlebte gesprochen und Bilder aus ihrer Kindheit gesammelt. Inspiriert von diesen Bildern, hat sie die Schicksale der Kinder malerisch in Aquarell und Tusche festgehalten. Kurze Eindrücke und Zitate aus den Interviews, die Fatma Biber-Born mit den heute 45 bis 60jährigen geführt hat, präsentiert sie hinter Transparentpapier. Die Eröffnungsrede zu der Mannheimer Ausstellung, die mit Erscheinen dieser Ausgabe nur noch wenige Tage im CommunityARTCenter in Mannheim zu sehen ist, haben wir auf S. 20 dokumentiert.

Wir danken der Künstlerin sowie allen Beteiligten für die freundliche Zurverfügungstellung der Bilder!