express 11/2025 erschienen!

express 11/2025 erschienen!

Inhalt

Gewerkschaften Inland

Torsten Bewernitz: »Schlüsselpersonen ent-schlüsseln!« – Make the Schlüsselperson organic again   1

Jan Rottenbach: »Brandmauern gegen blaue Elefanten?« – Die Betriebsratswahlen unter dem Druck der Rechten   4

»Wir streiken zusammen!« – Stellungnahme von Kolleg:innen aus GEW und ver.di zur Tarifrunde der Länder   7

Tomas Nieber: »Wer schoss das Eigentor?« – Antwort auf Andreas Bachmanns Kritik der Mitgliedervorteile in Tarifverträgen   9

Ulrich Maaz: »Zulage für einige statt Zulage für alle« – Tarifliche Zulagen im öffentlichen Dienst Hamburgs          9

Betriebsspiegel

»Eine Strategie, um die Belegschaft zu spalten« – Norbert Göbelsmann im Gespräch über den Streik bei Avnet/Tria   6

Julius Glaser: »Betriebe in Arbeiter:innenhand« – Proletarische Öffentlichkeit in Produktivgenossenschaften?   6

Dinah Burgmann, Deniz Ciftci, Lier Rehfisch: »Auch Lobbying kann wirken« – Student:innen setzen 1.000 Euro Praktikumsvergütung durch   8

Arbeitsrechte in prekären Lebenslagen (10)

»Habe ich überhaupt keine Rechte?« – Nikolai Huke im Gespräch mit Tarek Jabi und Megan Shah (Faire Integration Hamburg) 3

Politik und Debatte

»Fahren wir nochmal zusammen?« – Gespräch mit »Klima und Klasse« über Arbeiter:innen- und Klimabewegung   10

Gaston Kirsche: »Ausnahmezustand in Hamburg« – Mit dem Manöver »Red Storm Bravo« wurde der Kriegsfall geprobt   16

Internationales

Heiner Dribbusch: »Sparpolitik, Streiks und eine gespaltene Linke« – Proteste in Frankreich und Aufwind der Rechten   12

Rezension

Lucas Rudolph: »Eine Klasse kann man nicht basteln« – Nicole Mayer-Ahuja entdeckt die Klassenzusammensetzung wieder   14

Editorial

Geneigte Leserinnen und Leser,

viele Redewendungen drücken zwar etwas Wahres aus, verschweigen dabei aber etwas ge­nauso Wahres. »Morgenstund‘ hat Gold im Mund« hören Kinder schon von ihren Eltern, wenn sie sich morgens auf den Weg zur Schule machen sollen. Bei Vorgesetzten ist der Satz ebenso beliebt, um Beschäftigte zurechtzuweisen, die nicht zwanzig Minuten vor Schichtbe­ginn am Arbeitsplatz eintreffen. Mag ja sein, dass es manchmal sinnvoll ist, früh dran zu sein. Aber kann es Zufall sein, dass die Redensart das Umgekehrte verheimlicht? Nämlich wie schön es ist, genüsslich auszuschlafen! Apropos »Gold im Mund«: Bitte beachtet den Hinweis zur leider notwendigen Preiserhöhung für den express (S. 2).

Noch so eine Redewendung, der man nicht ohne Vorbehalt glauben sollte: »Aller Anfang ist schwer«. Denn ein Ende ist oft viel schwerer. Das ist uns schmerzlich bewusst geworden, als wir diese Ausgabe für Euch zusammengestellt haben, die die zehnte und letzte Folge von Ni­kolai Hukes Kolumne »Arbeitsrechte in prekären Lebenslagen« enthält (S. 3). Ein Jahr lang durften wir Euch seine Gespräche mit Beschäftigten von Beratungsstellen präsentieren, die je­des Mal zeigten, wie Leute von ihren Arbeitgebern drangsaliert werden, und wie schwer es sein kann, sich dessen zu erwehren.

Viel Zeit zum Zurückschauen haben wir allerdings nicht, denn das Kommende wirft seine Schatten voraus: Im Frühjahr stehen die Betriebsratswahlen an. Sie werden uns, na klar, in den nächsten Ausgaben beschäftigen. Den Auftakt zu unserer Vorabberichterstattung macht Jan Rottenbach, der sich mit dem Problem befasst, dass man bei den anstehenden Wahlen mit rechten Kandidat:innen und Listen rechnen muss (S. 4). Wir hoffen, mit diesem und den noch folgenden Artikeln Diskussionen unter Kolleg:innen anstoßen zu können.

Manchmal scheint uns das zu gelingen. Die Ausgabe, die Ihr in Händen haltet, beweist es, und wir freuen uns darüber wie Foodtruck-Betreiber:innen über Zohran Mamdanis Wahlsieg in New York. Gleich drei Artikel reagieren auf Texte in früheren express-Ausgaben: Torsten Be­wernitz nimmt Slave Cubelas Kritik des Schlüsselpersonen-Konzepts im Organizing aus un­serem letzten Heft auf (S. 1). Auf Andreas Bachmanns Artikel zu Mitgliedervorteilen in Tarif­verträgen aus eben jenem antwortet Tomas Nieber (S. 9). Und Julius Glaser führt mit seinem Artikel über die proletarische Öffentlichkeit in Produktivgenossenschaften (S. 6) eine Diskus­sion weiter, die den Schwerpunkt unserer vorletzten Ausgabe prägte.

Für Kontinuität stehen auch die anderen Artikel in dieser Ausgabe, leider meist für eine schlechte: Unternehmen denken sich immer neue Strategien aus, um Belegschaften zu spalten (S. 6). Die Zusammenarbeit von Klima- und Arbeiter:innenbewegung geht weiter schleppend voran (S. 10). Flotter geht es hingegen bei der Militarisierung des Zivilen (S. 16). In Frank­reich wird zwar protestiert, doch es gelingt nicht, die Sparpläne des Lagers um Präsident Em­manuel Macron abzuwenden (S. 12). Schon ganz kleine Verbesserungen im öffentlichen Dienst in Hamburg (S. 9) und für rheinländische Student:innen bei ihren Pflichtpraktika (S. 8) erfordern viel Durchhaltevermögen. In der kommenden Tarifrunde für die Landesbeschäftig­ten sind keine großen Sprünge zu erwarten (S. 7). Und seit Generationen hat sich wenig daran geändert, dass die tägliche Arbeit die Lohnabhängigen spaltet (S. 14). Bitte verzeiht uns die Miesepeterei. Wir hätten gerne Schöneres zu berichten. Aber wir kön­nen uns, im Gegensatz zu Pippi Langstrumpf, die Welt nicht machen, wie sie uns gefällt. Vielleicht hilft es ja, ein paar Erkenntnisse über das Schlechte zu gewinnen.

In diesem Sinne: Wir wünschen anregende Lektüre!

Bildnachweis

»Der Mensch lebt nicht vom Brot allein«, heißt es in der Bibel und bei Bertolt Brecht – aber ohne Brot ist alles nichts. In einer wilden Mischung aus Kochbuch und Kulturgeschichte wirft die Berliner Künstlerin Tine Steen einen Blick in die Urgeschichte der Menschheit und untersucht, wie die tägliche »Manipulation von Nahrung«, die wir heute »Kochen« nennen, nicht nur unsere Körper, sondern auch unsere sozialen Beziehungen geformt hat. Sie geht einer Vielzahl von Thesen nach, mit denen Wissenschaftler:innen versuchen, die sogenannte Evolution der Menschheit zu erklären, die mitnichten immer eine Fortschrittsgeschichte ist. Neben der Produktion und Verteilung von Nahrung thematisiert Steen auch die Formen der Arbeitsteilung, die damit einhergehen.

Wer sich von den expliziten Darstellungen, wie Tiere getötet werden, nicht abschrecken lässt, lernt die Verarbeitung von Fleisch in allen bekannten archaischen Methoden (und bisweilen wiederkommenden Moden) kennen. Dem Gemüse geht es übrigens auch an den Kragen: Wenn es nicht geröstet oder gegrillt wird, wird es fermentiert – oder gleich roh verspeist.

Wir danken dem Avant-Verlag herzlich für die Überlassung der Bilder!

Tine Steen: Die kochenden Affen, Avant-Verlag, Berlin 2025, 296 Seiten, 17 x 24 cm, vierfarbig, Flexcover, ISBN: 978-3-96445-151-4, 29 Euro.

express 8/2025 erschienen!

express 8/2025 erschienen!

Inhalt

Gewerkschaften Inland

Ulrich Maaz: »Wenn ich groß bin, werde ich ausbildungsplatzsuchend« – eine Bestandsaufnahme zur dualen Berufsausbildung   6

Josef Kraft: »Im Angebot: ausländische Auszubildende« – über das Geschäft mit der Hoffnung auf eine gute Ausbildung   7

Betriebsspiegel

»Die Belegschaft hat einen dicken Lohnverlust am Bein« − ein Gespräch mit Daniel Schreiber über Thyssen-Krupp   4

Gaston Kirsche: »Es wird flexibilisiert wegen fehlenden Personals« − Gespräch mit Kerstin Neuendorf über die Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Post   5

Gaston Kirsche: »Nur noch ein Bullshitjob« − Gespräch mit Felix Plogshagen über die Auswirkungen des neuen Postgesetzes   5

Renate Hürtgen: »Was passiert, wenn Belegschaften ihren Betrieb übernehmen?« − neue Fragen an ein altes Thema   12

»Die Aufbrüche aus den Scherbenhaufen der Niederlagen freilegen« − Renate Hürtgen im Gespräch mit Christiane Mende über die Glashütte Süßmuth 1970   12

Bernd Gehrke: »Betriebsbesetzung im Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf 1991« − eine Erinnerung  14

Dietmar Dathe: »Betriebsbesetzungen in Ostdeutschland 1991–1994« − Presseschau 15

Dario Azzellini: »Selbstverwaltete Betriebe als Chance?« − Buchvorstellung und Gespräch mit Renate Hürtgen über die Schwierigkeiten der Arbeiterkontrolle   16

Arbeitsrechte in prekären Lebenslagen (8)

»Ausländerbehörde zufrieden, Arbeitsbedingungen katastrophal« − Gespräch mit Khaled Al Bitar und Shabana Hewad 3

Politik und Debatte

Charly Außerhalb: »Braune Phantasien blühen überall« − zur aktuellen Diskussion um das Bürgergeld   1

Europa-Express

Roland Erne: »Wieso gehen die Leute auf die Straße?«  − Anlässe transnationaler sozioökonomischer Proteste in Europa   9

Rezensionen

»Dann werden wir eben siegen! Das Ende der Arbeiterbewegung, wie wir sie kennen« – über Marcel van der Lindens Perspektiven auf die Arbeiterbewegung   10

Editorial

Geneigte Leserinnen und Leser,

bevor Kinder in die Schule kommen, gibt man sich alle Mühe, ihnen das als etwas Erstrebens­wertes zu vermitteln. Zur großen Einschulungsfeier gibt es eine Zuckertüte, die im besten Fall prall gefüllt ist mit Süßigkeiten, bunten Stiften und anderem Erfreulichen. Der Übergang vom Kindergarten, in dem ganztägig gespielt werden darf, zur Schule, in der auf einmal Stillsitzen angesagt ist, wird durch ein Tamtam an Übergangsritualen erträglich gemacht.

Fragt sich, warum es sowas nicht auch für den Übergang zur Ausbildung gibt. Die nervige Schulbank muss man immer noch drücken. Und dazu dreimal wöchentlich den ganzen Tag im Betrieb herumstehen, wo man sich zu allem Übel noch von Ausbilder:innen anpöbeln und von Vorgesetzten den freiwilligen Sprachkurs verbieten lassen muss.

Schon klar: Auszubildende, die mit Zuckertüten in ihren Betrieb spazieren, sind eine befremd­liche Vorstellung. Vielleicht braucht es aber bald Rituale, die den Ausbildungsstart erträgli­cher machen, wenn es mit der Berufs(aus)bildung weiter bergab geht. Pünktlich zum jährli­chen Ausbildungsbeginn widmen wir uns Problemen, die es nicht erst seit gestern gibt: Immer mehr junge Menschen gehen leer aus bei der Suche nach einer Ausbildung, die sie interessiert (S. 6). Und immer häufiger werben Unternehmen Auszubildende aus Drittstaaten an, denen sie dann grundlegende Rechte verwehren und deren Abhängigkeit vom Ausbildungsplatz sie ausnutzen (S. 7).

Was hilft dagegen? Einige Vorschläge finden sich in den Texten. Man könnte allerdings auch weiterdenken: Was wäre, wenn die Beschäftigten ihre Betriebe selbst schmeißen würden? Wie würden sie ihre lernenden Kolleg:innen dann unterstützen? Wir wissen es nicht. Um das herauszufinden, bräuchte es erst mal eine nennenswerte Zahl von Betrieben in der Hand ihrer Belegschaft.

Immerhin: Manchmal tun sich Lohnabhängige zusammen, um ihren Betrieb zu besetzen oder gar zu übernehmen. Diesem Phänomen widmet sich der Schwerpunkt dieser Ausgabe: Von heutigen selbstverwalteten Betrieben (S.16) über die Betriebsbesetzungen, mit denen sich ost­deutsche Beschäftigte in den 1990er Jahren gegen Massenentlassungen wehrten (S. 14/15), bis zur Übernahme der Glashütte Süßmuth in Immenhausen 1970 (S. 12). Der Rückblick lohnt, denn er wirft Fragen auf, die in die Zukunft gerichtet sind (S. 12).

So weiterzumachen wie bisher, ist jedenfalls keine Lösung. Dann malocht man vor sich hin, ist der Willkür des Arbeitgebers ausgeliefert und kann wenig tun gegen den Druck, immer schneller zu machen, wie Beschäftigte der Post berichten (S. 5) – ohne dass der express und Millionen Briefe deswegen schneller kämen, im Gegenteil: Der Gesetzgeber macht’s möglich, dass Verspätungen zur Regel werden.

Und stimmen die Profite des Unternehmens nicht, wird man gekündigt – oder soll auf Lohn verzichten, um den eigenen Arbeitsplatz zu retten, wie in der hoch subventionierten Stahlin­dustrie (S. 4). Also gar nicht arbeiten? Viel hilft auch das nicht, denn wer Bürgergeld bezieht, wird zum Hassobjekt einer ganz großen Koalition von der extremen Rechten bis zur soge­nannten »Mitte der Gesellschaft« (S. 1). Bleibt also doch nur die Hoffnung auf eine neue Ar­beiter:innenbewegung (S. 10).

Wir wünschen anregende Lektüre!

Bildnachweis

Warum braucht es sie noch mal, die »sozialökologische Transformation«? Weil Klimawandel heißt, dass die Menschheit nicht einfach so weiterproduzieren kann wie bisher, ist ja klar. Sonst nämlich hat Berlin bald einen Ostseestrand. Und eine Milliarde Menschen verliert wo­möglich ihre Lebensgrundlage.

Wie sehr der Klimawandel die Erde schon verändert hat, erfährt man in Roberto Grossis gera­de in deutscher Übersetzung erschienenem Comic »Die große Verdrängung«. Die Menschen haben in den letzten 250 Jahren das Weltklima so verändert wie sonst nur ein Asteroidenein­schlag: »In vorindustriellen Chroniken gibt es Beschreibungen, die heute unvorstellbar sind. Vogelschwärme, die drei Tage brauchen, bis sie eine Region überquert haben. Büffelherden, so weit das Auge reicht in der nordamerikanischen Prärie. Schiffe, die von mittags bis zum Sonnenuntergang durch Gruppen von Pottwalen fuhren.« Nein, das kann man sich wirklich nicht mehr vorstellen.

So eindrücklich Grossi die verheerenden Folgen des Klimawandels zeichnet, so oft er auf Zahlen und wissenschaftliche Erklärungen zurückgreift, so sehr geht es ihm im Kern um et­was anderes: Die Verdrängung des Klimawandels ist überall. Grossi begibt sich auf eine Su­che nach den Gründen, warum die Menschen, besonders im globalen Norden, wissen, dass die Zeit drängt, aber wenig unternehmen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass sie verlernt haben, sich eine Zukunft vorzustellen, die nicht apokalyptisch ist.

Wir danken dem Avant-Verlag herzlich für die Überlassung der Bilder!

Roberto Grossi: Die große Verdrängung. Aus dem Italienischen von Myriam Alfano, Avant-Verlag, Berlin 2025, 208 Seiten, vierfarbig, 17 x 24 cm, Flexcover, ISBN: 978-3-96445-146-0, 25 Euro.