express 03-04/2023 erschienen!

express 03-04/2023 erschienen!

Inhalt

Gewerkschaften Inland

Thilo Hartmann: »Dürfen Beamt:innen streiken?« –
Bericht von der Anhörung vor der Großen Kammer des EGMR                                      1

Freddy Adjan und Johannes Specht: »Eine Branche für sich« –
Hohe Lohnsteigerungen tarifpolitisches Ziel der NGG für 2023                                      4

Lukas Leslie: »TVStud in der Offensive« –
Bericht von der bundesweiten Organizing-Konferenz der TVStud-Bewegung                6

Ulrich Maaz: »Warn- und Warmstreiken« – Zum Stand der Tarifrunde TVöD                6

Heiner Dribbusch: »Ergebnis ohne Erzwingungsstreik« –
Zum Verhandlungsergebnis bei der Deutschen Post                                                          7

Betriebsspiegel

»Ende des industriellen Tiefdrucks absehbar« –
ein Gespräch mit Martin Dieckmann                                                                                  8

Hermann Büren: »Verantwortung ohne Macht« –
Wie Beschäftigte zu Verantwortungsträgern gemacht werden                                        12

Politik & Debatte

Torsten Bewernitz: »Kritik der politischen Ökologie« −
jenseits von Green New Deal und Ökosozialismus?                                                        15

Achim Schill: »Die ›Sturmgeschütze der Demokratie‹« –
Proteste gegen Kriminalisierung von Radio Dreyeckland                                                18

Internationales

Ingeborg Wick: »Mein Boss, der Algorithmus« –
Internationales Treffen zu Arbeitskämpfen und Organizing in GIG-Ökonomie               9

»Frau, Leben, Freiheit« −
Charta der Mindestforderungen unabhängiger Organisationen im Iran                           17

Przemysław Wielgosz: »Ein Krieg, der eine und der andere Westen« −
Kommentar zum Ukraine-Krieg                                                                                       19

Roland Erne zur EU-Mindestlohnrichtlinie                                                                      19

Renate Hürtgen: »Was ist eine halbe Solidarität wert?« –
Kritische Fragen an den Aufruf für gewerkschaftliche Solidarität                                  20

Rezensionen

Peter Nowak: »Ungenügsam« – Bündnis »Genug ist genug« übt Streiksolidarität          3

Jonas Berhe: »Ist das Antirassismus oder kann das weg?« –
über die vieldebattierte »Diversität der Ausbeutung«                                                     11

Editorial

Geneigte Leserinnen und Leser,

das Leid einer jeden Monatszeitung ist es, nicht adäquat auf aktuelle Ereignisse reagieren zu können. So hat uns für die aktuelle Ausgabe etwa die Tarifrunde bei der Post Schwierigkeiten bereitet – das Bangen um den Ausgang der Urabstimmung, die Frage, ob ein unbefristeter Streik ansteht und nun zum Redaktionsschluss die Frage, ob das neue Verhandlungsergebnis angenommen wird. Ähnlich geht es uns beim Streikgeschehen in Großbritannien und Frank­reich.

Die Frage der Erscheinungsweise betrifft auch einen weiteren Aspekt: Im zwar lichter wer­denden, aber immer noch buntscheckigen linken Blätterwald bemühen wir uns um Exklusivi­tät und versuchen, unserem Untertitel gemäß, Themen und Texte in den Mittelpunkt zu rü­cken, die sich anderswo nicht lesen lassen. Der express ist ein »special interest«-Medium, das manchmal auch Themen von äußerstem Belang außen vor lässt, weil diese an anderer Stelle bereits ausführlich behandelt werden und wir euch, liebe Leserinnen und Leser, zutrauen, in­formiert zu sein und euch eine ›eigene Meinung‹ gebildet zu haben, wie es Springers heißes Blatt ausdrücken würde.

Dies betrifft seit einem Jahr insbesondere den russischen Krieg gegen die Ukraine. Kürzlich wurde in einer Zuschrift gemutmaßt, wir würden deswegen so wenig zum Thema schreiben, weil es innerredaktionelle Differenzen gäbe. Nun, diese halten sich bislang in Grenzen – und so wenig haben wir zu dem Thema auch nicht veröffentlicht, allerdings lag der Fokus nach den grundlegenden Beiträgen vor ziemlich genau einem Jahr (express 4/2022) eher auf As­pekten der Auseinandersetzung, die anderenorts und vor allem in den Disco-Soaps einschlägi­ger »Talk«-Formate wenig bis gar nicht thematisiert wurden.

Aus verschiedenen Zuschriften an die Redaktion ist uns aber bekannt, dass innerhalb unserer Leser:innenschaft durchaus Differenzen bestehen bzw. sich im Verlauf des Kriegsgeschehens entwickelt haben. Da express-Leser:innen nie einfach nur Leser:innen sind, gehört es zu unse­rem Anspruch, solche Debatten abzubilden. In diesem Sinne erscheinen in der vorliegenden Ausgabe zwei Beiträge zum Thema (S. 19, 20).

Beide Beiträge spiegeln aber nur eine Position. Innerhalb der Redaktion haben vor allem die Beiträge »Knoten im Kopf« von Ingar Solty (junge welt, 1. März 2023) und der Beitrag Jens Wissels »Wake me up when the Apocalypse is over« bei unserer Online-Schwester-Zeitung links-netz für Aufmerksamkeit und letztlich doch für innerredaktionelle Kontroversen (self-fulfilling prophecy) gesorgt.

Jens Wissel hat in seinem Beitrag mit Rekurs auf Rául Sánchez Cedillos »Dieser Krieg endet nicht in der Ukraine« (Wien u.a. 2023) einen entscheidenden Aspekt dieser innerlinken Kon­flikte auf den Punkt gebracht: »Putin darf den Angriffskrieg nicht gewinnen, zugleich muss das Morden im Krieg aufhören und die Gefahr einer atomaren Eskalation vermieden werden. Diese Konstellation lässt sich nicht ungebrochen und ohne moralischen Schaden zu nehmen nach einer Seite auflösen.«

Sieht man von ein paar tatsächlich rechts-offenen autoritär-liberalen Putin-Freund:innen ab (wie etwa in AfD und DKP), sollte das einen Grundkonsens in der linken Öffentlichkeit dar­stellen. Die Differenzen bestehen dann vor allem in der Bewertung der Gefahrenlage und in der Wahl von Gegenmaßnahmen. Solche Differenzen sind überwindbar, zumindest in dem Sinne, dass ein Dialog zwischen den Positionen möglich sein sollte – ein Dialog, der gesell­schaftskritische Stimmen egal in welchem Land aufnimmt und stärkt und sich gerade nicht funktionalisieren lässt für »nationale« Parteinahmen und -gänge.

Rául Sánchez Cedillo benennt in seinem Buch noch einen anderen Aspekt, der darauf hin­weist, dass es in Sachen Ukraine zumeist wohl doch eher um die »deutsche Volksseele« – oder aber um linke Befindlichkeiten – geht: Aktuell sind rund 30 kriegerische Konflikte welt­weit zu verzeichnen, die ebenfalls einer ethischen wie einer geostrategischen Bewertung be­dürften – ganz abgesehen von der Solidarität mit den betroffenen Menschen. Warum wird die Frage der Parteinahme, der Solidarität und entsprechender Waffenlieferungen auf die Ukraine beschränkt?

Über diese Frage hinaus – wir sind ja kein Fachblatt der Friedens- und Konfliktforschung – gibt es einiges zu besprechen: die Frage des Zusammenhangs von Klima und Klasse (S. 15f.), die globalen Rider-Proteste (S. 9f.) oder auch die grundlegende Frage, wie denn das Kapital heute in den Unternehmen durchregiert bzw. die Arbeiter:innen sich selbst regieren lässt (S. 12f.) – das sind nur diejenigen Themen von Belang, die es in diese Ausgabe geschafft ha­ben, während andere anstehen müssen.

Geneigte Leserinnen und Leser, euch liegt mal wieder eine dickere, zwanzigseitige Ausgabe des express vor. Diesmal ganz planmäßig, denn in euren Händen liegt die Doppelnummer März/April. Der express 5/2023 wird im Mai bereits frühzeitig erscheinen, damit er auf der von uns in einer Medienpartnerschaft unterstützten Streikkonferenz der Rosa Luxemburg Stif­tung in Bochum vorliegt. Wir sehen uns dort – und wem bis dahin der extradicke express nicht reicht, der und dem sei diesmal ausdrücklich ein Blick auf unsere Homepage empfohlen (siehe »Hausinterna« aus der Redaktion, S. 3)!

Bildnachweis

»Du bist mein Heldin – isch feier disch« – keine Frankfurter U-Bahnfahrt, kein Mensabesuch in der FH vergeht, ohne Zeugin dieser im Nebengespräch ausgetauschten Verehrungsfloskel zu werden. Vielleicht liegt die Wahrheit dieser leichthin dargebrachten Wendung zur Huldi­gung der Held:innen des Alltags in der Alltäglichkeit der Hürden und der Überwindung dieser Alltäglichkeit zugleich. Und das ist es auch, was die Heldin Madeleine in der wunderbar düs­teren, ganz in blau-grau-schwarz gehaltenen Grafic Novel »Madeleine, die Widerständige«, deren erster Teil Ende 2022 im avant-verlag erschienen ist, so einnehmend macht. Ja, sie war eine Frau, sie war in der Resistance und hat gegen die Nazi-Besatzer:innen gekämpft, aber nein, sie war keine Feministin, war nicht politisch organisiert, und sie hatte Angst. Lassen wir Madeleine Riffaud für einen kurzen Moment selbst sprechen: »Ich suchte immer die Wahr­heit. Ob während der Besatzung, in der Résistance gegen die Nazis kämpfend, in den Kerkern der Gestapo in Paris, oder während der Befreiung der Stadt. Nach dem Krieg suchte ich wei­ter, als Journalistin im Maghreb, in Asien, und überall dort, wo Völker im Elend gegen ihre Unterdrücker kämpften. Oh, das war kein Spaziergang (… ) Aber ich würde es jederzeit wieder genauso machen! Ich bin kein Symbol. Ich bin keine besondere Frau. Was ich getan habe, ha­ben Hunderte, Tausende andere auf der ganzen Welt gemacht. Und ihr könnt es auch.« Was würde besser in diese Ausgabe passen – zwischen Frauentag, »Frau, Leben, Freiheit« und Kriegsdebatten. Chapeau, Madeleine und alle, die mit ihr sind. Danke an den avant-verlag für seine verlegerischen Heldentaten.

»Madeleine, die Widerständige«, Bd. 1

Bezug: avant verlag Berlin, 128 Seiten, Hardcover, ISBN: 978-3-96445-080-7, 29 Euro

express 01/2023 erschienen!

express 01/2023 erschienen!

Inhaltsverzeichnis

Gewerkschaften Inland

Dokumentiert: »ver.di for Future« – Plädoyer für engere Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Klimabewegung 1

Ulrich Maaz: »Herausforderung Reallohnsicherung« – Ausblick auf die Tarifrunde TVöD 3

Dokumentiert: »Tarifliche Eingruppierung« – ver.di-Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht 3

Christoph Wälz: »Streikrecht ist Menschenrecht« – Berliner Saalkundgebung für ein umfassendes Streikrecht 6

Betriebsspiegel

Marvin Hopp, Lukas Leslie, Ann-Kathrin Hoffmann: »Auf der Zielgeraden?« – 2023 hat es die TVStud-Bewegung in der Hand 4

Günter Kaiser: »Weitere Einmalzahlungen bei Privatversicherungen« – Nachschlag für den Innen- und Außendienst 8

Bewegung mit Recht

René Kluge: »Wie kommen wir zu mehr Betriebsräten?« – Folge 24 7

Politik & Debatte

Christian Zeller: »Waffenstillstand in der Ukraine? « – Zu welchen Bedingungen? 15

Dokumentiert: »Une paix juste … « – Appell von SUD, CGT, France Insoumise, Attac und Intellektuellen 15

Internationales

Bettina Müller: »Neue Zutaten, alte Rezepte« – Das modernisierte Abkommen der EU mit Mexiko 9

Said Hosseini: »(Zurück-)Eroberung des Lebens« – Anmerkungen zu den Protesten im Iran 10

Mie Inouye: »Das Salz in der Suppe« – Wie eine neue Gruppe von »Salts« die Organisierungsbemühungen von Langzeitbeschäftigten stärkt 12

Dokumentiert: »Gewerkschaftliche Solidarität« – Humanitäre Hilfe für ukrainische Gewerkschaften 15

Rezensionen

Daniel Weidmann: »Klassenanalyse, hochkalorisch« – Über einen gehaltvollen Band zur Diversität von Ausbeutung 16

Kurzes

Leserbriefe 2

Antipasti 8

Vermischtes 12, 13, 14

Editorial

Geneigte Leserinnen und Leser,

same procedure as every year: Unser großes Vorbild in Sachen Pessimismus, Bernd das Brot, warnt in seiner immerwährenden Neujahrsansprache »Alles bleibt wie immer, nur schlimmer«. Wer mag da, angesichts der großen Ks von Krieg, Klima, Krise, schon widersprechen?

Nun ja, es gibt schon einige, die das tun, und zwar hier, in der ersten Ausgabe des express in seinem 61. Jahr: die gewerkschaftlich organisierten Studierenden, die in Sachen studentischer Tarifvertrag (TVStud) zurecht Morgenluft wittern (S. 4). Und die Berliner Initiative für ein umfassendes Streikrecht, die merkt, dass das Interesse an einem solchen erheblich steigt (S. 6)?

Das scheint, so wie es sich für den express gehört, etwas aus der Zeit gefallen. Der Rest der deutschsprachigen Öffentlichkeit debattiert ja wahlweise über die Kriminalität von »Phänotypen« angesichts eines Silvester-»Ereignisses«, das erst medial zu einem solchen gemacht wurde, oder aber über Klimaaktivismus, respektive -»terrorismus« in Lützerath. Letzteres, so meinen einige, könnte für die Grünen das bedeuten, was Hartz IV für die SPD bedeutete.

Wir erinnern uns: Hartz IV bedeutete nicht nur das Ende der SPD als »Volkspartei«, sondern ging auch mit einer Abspaltung von der alten Tante unter dem Namen WASG einher, die zu einem Teil der Ursuppe der Linkspartei wurde. Von grüner Seite aus hört man allerdings momentan eher nur ein »Was sollen wir denn tun? Etwa austreten?«, was für entsprechend süffisante Kommentare von links sorgt. Wenn wir uns Parteien als Organisationen vorstellen, die immer noch bestimmte Klasseninteressen vertreten, ist der Austritt der meisten Mitglieder der Grünen aus ebendieser Partei in der Tat widersinnig.

Dass man auch einen positiven Klassenverrat hinlegen kann, zeigt dagegen ein neuer Trend aus den USA: das Salting (S. 12). Und wo wir schon trendy sind: Der vorliegende express hat mit Beiträgen zum Putinschen Krieg (S. 15) und der Revolte im Iran (S. 10) auch breit diskutierte Themen im Gepäck.

Und von wegen Pessimismus und Optimismus: Letzteres hat ja zumindest auch einen Touch von Hoffnung. Die hat der express auch: Mit 23.743,75 Euro Spendeneingang im Jahr 2022 liegen wir zwar fast 10.000 Euro unter dem Vorjahresergebnis, aber dennoch gibt uns das in diesen Zeiten eine deutliche ökonomische Sicherheit, für die wir uns an dieser Stelle bei euch, geneigte Leserinnen und Leser, mal dezidiert bedanken wollen! Und damit nicht genug: Im Durchschnitt generieren wir seit dem 1. Januar 2023 jeden Tag ein neues Abo. Guter Vorsatz: Das soll das ganze Jahr so weiter gehen.

Wenn uns, auch das sei nicht verschwiegen, momentan eher etwas Sorgen macht, dann ist es die (arbeits-)zeitliche Dimension. Ja, der Fachkräftemangel schlägt beim express durch. Sprich: Die Arbeitskraft unserer Redakteur:innen wird anderwärts durchaus nachgefragt − zu zwar nicht »fairen« oder »gerechten« Löhnen (ja, ja – eine notwendige Illusion, zur Kritik s. »Lohn, Preis, Profit« vom ollen Marx), aber zu attraktiveren, als ein Projekt wie das unsere sie bieten kann (es sei denn… siehe oben). Das bringt uns ganz schön ins Schwitzen und führt zu manch frühindustrieller Arbeitszeit…

Das, geneigte Leserinnen und Leser, müssen wir nicht mit euch teilen. Denn auch bei ausgeschalteter Heizung und gedimmten Licht bleibt eine angenehme und entspannte Lektüre des express möglich – und nötig. Wir wünschen eine solche.

Bildnachweis

Just mit Redaktionsschluss beginnen die Arbeiter:innen der Deutschen Post zu streiken. Bei aller Solidarität mit den Kolleg:innen hoffen wir natürlich, dass dieser express trotzdem bei euch ankommt. Nichtsdestotrotz haben wir uns gedacht, bei weniger Post freuen sich unsere geneigten Leserinnen und Leser über die eine oder andere Postkarte. Wir haben also tief in den Archiven gewühlt und euch solche ausgesucht, und zwar Werbepostkarten aus der älteren Geschichte der Arbeiterbewegung, aus Gewerkschaften, Genossenschaften und Kulturvereinigungen. Vorteil: Die Dinger sind so alt, die haben kein copyright mehr… – wie die Arbeiterbewegung: frei zum Nachmachen, kein Privateigentum!