express 8/2025 erschienen!
Inhalt
Gewerkschaften Inland
Ulrich Maaz: »Wenn ich groß bin, werde ich ausbildungsplatzsuchend« – eine Bestandsaufnahme zur dualen Berufsausbildung 6
Betriebsspiegel
Gaston Kirsche: »Es wird flexibilisiert wegen fehlenden Personals« − Gespräch mit Kerstin Neuendorf über die Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Post 5
Gaston Kirsche: »Nur noch ein Bullshitjob« − Gespräch mit Felix Plogshagen über die Auswirkungen des neuen Postgesetzes 5
Renate Hürtgen: »Was passiert, wenn Belegschaften ihren Betrieb übernehmen?« − neue Fragen an ein altes Thema 12
»Die Aufbrüche aus den Scherbenhaufen der Niederlagen freilegen« − Renate Hürtgen im Gespräch mit Christiane Mende über die Glashütte Süßmuth 1970 12
Bernd Gehrke: »Betriebsbesetzung im Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf 1991« − eine Erinnerung 14
Dietmar Dathe: »Betriebsbesetzungen in Ostdeutschland 1991–1994« − Presseschau 15
Dario Azzellini: »Selbstverwaltete Betriebe als Chance?« − Buchvorstellung und Gespräch mit Renate Hürtgen über die Schwierigkeiten der Arbeiterkontrolle 16
Arbeitsrechte in prekären Lebenslagen (8)
Politik und Debatte
Charly Außerhalb: »Braune Phantasien blühen überall« − zur aktuellen Diskussion um das Bürgergeld 1
Europa-Express
Rezensionen
»Dann werden wir eben siegen! Das Ende der Arbeiterbewegung, wie wir sie kennen« – über Marcel van der Lindens Perspektiven auf die Arbeiterbewegung 10
Editorial
Geneigte Leserinnen und Leser,
bevor Kinder in die Schule kommen, gibt man sich alle Mühe, ihnen das als etwas Erstrebenswertes zu vermitteln. Zur großen Einschulungsfeier gibt es eine Zuckertüte, die im besten Fall prall gefüllt ist mit Süßigkeiten, bunten Stiften und anderem Erfreulichen. Der Übergang vom Kindergarten, in dem ganztägig gespielt werden darf, zur Schule, in der auf einmal Stillsitzen angesagt ist, wird durch ein Tamtam an Übergangsritualen erträglich gemacht.
Fragt sich, warum es sowas nicht auch für den Übergang zur Ausbildung gibt. Die nervige Schulbank muss man immer noch drücken. Und dazu dreimal wöchentlich den ganzen Tag im Betrieb herumstehen, wo man sich zu allem Übel noch von Ausbilder:innen anpöbeln und von Vorgesetzten den freiwilligen Sprachkurs verbieten lassen muss.
Schon klar: Auszubildende, die mit Zuckertüten in ihren Betrieb spazieren, sind eine befremdliche Vorstellung. Vielleicht braucht es aber bald Rituale, die den Ausbildungsstart erträglicher machen, wenn es mit der Berufs(aus)bildung weiter bergab geht. Pünktlich zum jährlichen Ausbildungsbeginn widmen wir uns Problemen, die es nicht erst seit gestern gibt: Immer mehr junge Menschen gehen leer aus bei der Suche nach einer Ausbildung, die sie interessiert (S. 6). Und immer häufiger werben Unternehmen Auszubildende aus Drittstaaten an, denen sie dann grundlegende Rechte verwehren und deren Abhängigkeit vom Ausbildungsplatz sie ausnutzen (S. 7).
Was hilft dagegen? Einige Vorschläge finden sich in den Texten. Man könnte allerdings auch weiterdenken: Was wäre, wenn die Beschäftigten ihre Betriebe selbst schmeißen würden? Wie würden sie ihre lernenden Kolleg:innen dann unterstützen? Wir wissen es nicht. Um das herauszufinden, bräuchte es erst mal eine nennenswerte Zahl von Betrieben in der Hand ihrer Belegschaft.
Immerhin: Manchmal tun sich Lohnabhängige zusammen, um ihren Betrieb zu besetzen oder gar zu übernehmen. Diesem Phänomen widmet sich der Schwerpunkt dieser Ausgabe: Von heutigen selbstverwalteten Betrieben (S.16) über die Betriebsbesetzungen, mit denen sich ostdeutsche Beschäftigte in den 1990er Jahren gegen Massenentlassungen wehrten (S. 14/15), bis zur Übernahme der Glashütte Süßmuth in Immenhausen 1970 (S. 12). Der Rückblick lohnt, denn er wirft Fragen auf, die in die Zukunft gerichtet sind (S. 12).
So weiterzumachen wie bisher, ist jedenfalls keine Lösung. Dann malocht man vor sich hin, ist der Willkür des Arbeitgebers ausgeliefert und kann wenig tun gegen den Druck, immer schneller zu machen, wie Beschäftigte der Post berichten (S. 5) – ohne dass der express und Millionen Briefe deswegen schneller kämen, im Gegenteil: Der Gesetzgeber macht’s möglich, dass Verspätungen zur Regel werden.
Und stimmen die Profite des Unternehmens nicht, wird man gekündigt – oder soll auf Lohn verzichten, um den eigenen Arbeitsplatz zu retten, wie in der hoch subventionierten Stahlindustrie (S. 4). Also gar nicht arbeiten? Viel hilft auch das nicht, denn wer Bürgergeld bezieht, wird zum Hassobjekt einer ganz großen Koalition von der extremen Rechten bis zur sogenannten »Mitte der Gesellschaft« (S. 1). Bleibt also doch nur die Hoffnung auf eine neue Arbeiter:innenbewegung (S. 10).
Wir wünschen anregende Lektüre!
Bildnachweis
Warum braucht es sie noch mal, die »sozialökologische Transformation«? Weil Klimawandel heißt, dass die Menschheit nicht einfach so weiterproduzieren kann wie bisher, ist ja klar. Sonst nämlich hat Berlin bald einen Ostseestrand. Und eine Milliarde Menschen verliert womöglich ihre Lebensgrundlage.
Wie sehr der Klimawandel die Erde schon verändert hat, erfährt man in Roberto Grossis gerade in deutscher Übersetzung erschienenem Comic »Die große Verdrängung«. Die Menschen haben in den letzten 250 Jahren das Weltklima so verändert wie sonst nur ein Asteroideneinschlag: »In vorindustriellen Chroniken gibt es Beschreibungen, die heute unvorstellbar sind. Vogelschwärme, die drei Tage brauchen, bis sie eine Region überquert haben. Büffelherden, so weit das Auge reicht in der nordamerikanischen Prärie. Schiffe, die von mittags bis zum Sonnenuntergang durch Gruppen von Pottwalen fuhren.« Nein, das kann man sich wirklich nicht mehr vorstellen.
So eindrücklich Grossi die verheerenden Folgen des Klimawandels zeichnet, so oft er auf Zahlen und wissenschaftliche Erklärungen zurückgreift, so sehr geht es ihm im Kern um etwas anderes: Die Verdrängung des Klimawandels ist überall. Grossi begibt sich auf eine Suche nach den Gründen, warum die Menschen, besonders im globalen Norden, wissen, dass die Zeit drängt, aber wenig unternehmen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass sie verlernt haben, sich eine Zukunft vorzustellen, die nicht apokalyptisch ist.
Wir danken dem Avant-Verlag herzlich für die Überlassung der Bilder!

