express 04/2022 erschienen!

express 04/2022 erschienen!

Gesamtausgabe zum Download

Inhaltsverzeichnis

Gewerkschaften Inland

Heiner Dribbusch: »Der lange Hebel. Macht und Machtressourcen von Unternehmen und Arbeitgeberverbänden im Arbeitskampf«   1

Willi Kaufmann: »Tendenz fallend. Die Mitglieder-entwicklung der DGB-Gewerkschaften bleibt problematisch«             3

Betriebsspiegel

»Von nix kommt nix, nä?« – Gespräch von Kirsten Huckenbeck, Karin Zennig und Stefan Schoppengerd mit Wolfgang Schaumberg über Möglichkeiten und Grenzen kritischer Betriebsratsarbeit, Teil 2           4

Sabrina Apicella: »Mehr als Fleisch und Pakete« – über Peter Birkes »Grenzen aus Glas«      19

Bewegung mit Recht

René Kluge: »Krieg im Betrieb – Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für die Betriebsrats-arbeit?«, Folge 19        11

Politik & Debatte

Stellungnahme der express-Redaktion zum Angriff auf die Ukraine      2

Martin Hornung: »50 Jahre ›Radikalenerlass‹« – Betroffene kämpfen für Rehabilitierung, Entschädigung und gegen neue »Radikalen«-Gesetze               6

AG Wahlbeobachtung: »Comeback der Sozialdemokratie oder eine Ministerpräsidentinnen-Wahl? Beides!« – Anmerkungen zur Landtagswahl im Saarland       10

Internationales

Bernd Gehrke: »Russlands neuer Imperialismus. Die Ignoranz gegenüber der Entwicklung in Russland blamiert die Friedensbewegung«        12

Slave Cubela: »Ein neoliberales Monster in Moskau« – zu Putins Überfall auf die Ukraine       14

Hartmut Bäumer, Günter Pabst u.a.: »Give Peace a Chance« – Aufruf zu einer Unterstützungskampagne für die Ukraine, eine Initiative von Friedensaktivist:innen der 1980er Jahre             16

Imre Szabó, Darragh Golden und Roland Erne: »Erfolg und Scheitern transnationaler Gewerkschaftskampagnen« – Die europäischen Bürgerinitiativen right2water und fair transport im Vergleich  17

Re-Visited

»Nicht zu fassen« – Sonja Tesch über Erfahrungen im Arbeitsfeld Betrieb und Gewerkschaft des Sozialistischen Büros             8

Peter Grohmann: »Öffentlichkeit herstellen – auch nach außen? Die Arbeit der plakat-Gruppe 1969-1979«              9

Rezensionen

Torsten Bewernitz: »… und es endete die Zeit der Autonomie« – zur Rezeption der Corona-Betrachtungen von Karl Heinz Roth        18

Peter Haumer: »Verdrängte Geschichte« – über James Horrox’ »Gelebte Revolution. Anarchismus in der Kibbuzbewegung«        20

Kurzes

Antipasti           5, 7

Antipasti Speciale: Gewerkschaften im Krieg    15

Editorial

Geneigte Leserinnen und Leser,

selbst die dienstälteste Redakteurin kann sich nicht erinnern, je eine express-Ausgabe unter derart widrigen Rahmenbedingungen fertig gestellt zu haben. Und das hat kaum etwas mit der verfahrenen Lage der Welt zu tun:

Zum ersten müssen wir leider mit dieser Aus­gabe unsere geschätzte Kollegin Karin Zennig verabschieden, die zukünftig für medico international tätig ist. Den Staffelstab hat sie an Jakob Stengel übergeben. Die Einarbeitung unseres neuen Kollegen gestaltete sich aber etwas schwierig, weil die Technik nicht mitspielte: Diese Ausgabe des express ist weit­gehend ohne das digitale Hilfsmittel Internet entstanden. Dafür aber teilweise in pandemiebedingter Quarantäne.

Inhaltlich treibt uns natürlich, wie den Rest der Welt, der Angriffskrieg der Regierung Putin um. Wir haben uns mit einer Stellungnahme (siehe S. 2 unten) zwischenzeitlich per Newsletter zu Wort gemeldet. Das ist ungewöhnlich und war der Tatsache geschuldet, dass wir uns durch die Produktionspause im März nicht in der Zeitung eingehender mit dem Thema beschäftigen konnten. Das holen wir in dieser Ausgabe nach mit Beiträgen von Bernd Gehrke und Slave Cubela, die das »System Putin« in den Mittelpunkt stellen (S. 12 und 14).

Als Redaktion unterstützen wir den Appell »Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz«. Wir teilen die eindeutige Positionierung gegen Putins Angriffskrieg und den Verzicht auf relativierendes Geschwurbel. Gemeinsame Positionen für oder gegen Waffenlieferungen an die angegriffene Ukraine hat der Appell nicht abverlangt. Auch für politische Kräfte, die zwar gegen Hoch- und Aufrüstung sind, aber eine militärische Landesverteidigung richtig finden, ist die Unterstützung des Aufrufs möglich, ebenso wie für pazifistisch orientierte Menschen. Hauptziel des Appells ist die klare Positionierung gegen ein Rüstungsprivileg in der Verfassung und eine Hochrüstung, die nur schwer als »Ausrüstung« für die Verteidigung kaschiert werden kann. Ein Rüstungsprivileg im Grundgesetz steht in jedem Falle gegen demokratische Prozesse in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik.

Unser zweiter thematischer Schwerpunkt in der vorliegenden Ausgabe ist historischer Natur: Martin Hornung hat für uns noch einmal die historischen und aktuellen Aspekte des »Radikalenerlasses« zusammengefasst (S. 6) – lesenswert insbesondere anlässlich neuer »Extremismus«-Klauseln der Ampel-Regierung. Ergänzt haben wir diesen Beitrag in unserer Reihe »re-visited« diesmal mit einem Beitrag von Peter Grohmann aus dem Buch »plakat – 10 Jahre Betriebsarbeit« von 1979 zum Thema Gewerkschaftsausschlüsse, der auf die Notwendigkeit einer betriebsübergreifenden Öffentlichkeit hinweist (S. 9). Dazu hatte auch die vor Kurzem 80 gewordene Sonja Tesch, eine unserer Vorgänger:innen in der Redak­tion, 2019 auf unserer Tagung »50 Jahre Sozialistisches Büro« etwas zu sagen – als Gratulation dokumentieren wir einen Auszug aus diesem Gespräch (S. 8).

Zu guter Letzt: Nicht nur der express feiert diese Jahre sein 60-jähriges Bestehen, auch die »Monatszeitschrift für eine gewaltlose, herrschaftsfreie Gesellschaft«, die Graswurzelrevolution, feiert im Mai diesen Jahres ihr 50-jähriges Bestehen. Wir gratulieren schon mal, denn in Zeiten wie diesen ist das bestimmt nicht die schlechteste Lektüre…

Krieg, Krise und Corona lassen uns in diesen Tagen durchaus in einem redaktionellen Dissenz zurück. Dass wir diesen aushalten, liegt daran, dass wir ihn eben nicht, weder traditionell noch heute, in Glaubenssätzen ausdrücken, sondern zweifelnd und fragend voranschreitend. In diesem Sinne verbleiben wir mal wieder »zwischen den Stühlen« und wünschen eine ebenso fragende und zweifelnde, aber vielleicht gerade deswegen ein wenig erbauliche Lektüre!

Bildnachweis

Seit 2003 – dem Beginn des Dritten Golfkriegs – hat es keine größeren Friedensdemonstrationen mehr gegeben als heute. Aber die Größe bringt es mit sich: Die einen protestieren für Verständnis für den russischen Diktator, die anderen für eine besser gerüstete Bundeswehr, wieder andere für ein sofortiges Ende des Kriegs und noch ganz andere für noch ganz anderes. Was also ist denn eigentlich eine Friedensbewegung? Das haben sich der Zeichner Findus und Autor Michael Schulze von Glaßer (u.a. im Beirat der Informationsstelle Militarisierung IMI) bereits 2016 gefragt und eine kleine Geschichte von Friedensbewegung und Antimilitarismus geschrieben und illustriert. Das ist heutigentags eine aktuelle Re-Lektüre wert, finden wir und haben den Sachcomic als Bildstrecke für diese Ausgabe ausgewählt. Wir danken Autor, Zeichner und Verlag für die Kooperation!

Findus, Michael Schulze von Glaßer: Kleine Geschichte der Kriegsgegnerschaft. Friedensbewegung und Antimilitarismus von 1800 bis heute. Unrast-Verlag, Münster 2016. ISBN: 978-3-89771-215-7, 80 Seiten, 9,80 Euro.

HET BOЙHE – Nein zum Krieg!

HET BOЙHE – Nein zum Krieg!

Die Redaktion des express unterstützt den folgenden Aufruf „Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!“ und bittet seine Leser:innen, dies auch zu tun. Unterzeichnet werden kann der Aufruf hier (der link ist nicht mehr aktiv).

Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!

Am 24. Februar überfiel Russland unter Präsident Wladimir Putin die Ukraine. Schon jetzt hat dieser Krieg Tausende Opfer gefordert und Hundert­tausende die Heimat gekostet.

Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Putin trägt die volle Verantwortung für die Toten und die Menschen auf der Flucht. Putins Begründungen für den Krieg sind Lügen und Propaganda. Wir machen uns große Sorgen über die Zukunft von Frieden und Sicherheit in Europa und der Welt. Diese Angst verbindet uns mit den Hundert­tausenden Menschen, die nach Beginn des Krieges allein in Köln, Berlin, München, Frankfurt, Hamburg und Hunderten anderen Städten auf die Straße gingen und dort ihrer Empörung über Putins Krieg, ihre Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, ihrer Angst vor einer weiteren Eskalation und ihrem Wunsch nach Frieden und Sicherheit Ausdruck verliehen. Mit ihnen gemeinsam haben wir gegen Putins Krieg und für Frieden demonstriert.

Die Anschaffung von konventionellen Waffen wie Kampf­flug­zeugen und bewaffnungs­fähigen Drohnen als Abschreckung unter atomaren Militär­blöcken ist sinnlos.

Diese Demonstrationen waren die größten Friedens­demonstrationen seit den Protesten gegen den Irakkrieg im Jahr 2003. Noch am selben Tag, an dem in Berlin die Menschen gegen den Krieg auf die Straße gingen, präsentierte die Bundesregierung mit Unterstützung der CDU/CSU ein Maßnahmen­paket, das die größte Aufrüstung Deutschlands seit Ende des Zweiten Weltkriegs vorsieht. Eine massive Hochrüstung der Bundeswehr hilft den Menschen in der Ukraine nicht. Die neu anzuschaffenden Waffen werden die Ukrainer:innen in ihrem Kampf und Recht auf Selbstverteidigung nicht unterstützen. Schon jetzt übersteigen die »Verteidigungs­ausgaben« aller 30 NATO-Staaten die russischen um fast das Zwanzigfache. Die Anschaffung von konventionellen Waffen wie Kampfflugzeugen und bewaffnungsfähigen Drohnen als Abschreckung unter atomaren Militär­blöcken ist sinnlos. Die NATO-Länder und auch Deutschland haben schon vor 2014, das heißt lange bevor es den Ukraine­konflikt gab, begonnen, ihre Rüstungs­ausgaben deutlich zu steigern. Teile der Hochrüstungs­pläne finden sich schon im Koalitions­vertrag, weit vor den ersten Warnungen vor einer bevorstehenden russischen Invasion. Dieser Krieg und die fürchterlichen Bilder der Toten und Zerstörungen in der Ukraine können jedoch eine radikale Kursänderung in der deutschen Außenpolitik und die höchste Steigerung der deutschen Rüstungs­ausgaben seit dem Zweiten Weltkrieg – gar durch eine Grundgesetz­änderung – nicht rechtfertigen.

Eine solche Wende der deutschen Außenpolitik um 180 Grad, mit entsprechend dramatischen Folgen auch für die Innenpolitik – für den Sozialstaat, für Liberalität und Mitmensch­lichkeit – ganz ohne breite gesellschaftliche Debatte, ohne parlamentarische, ja sogar ganz ohne inner­parteiliche Debatte zu beschließen, wäre ein demokratiepolitischer Skandal.

Zusätzlich zu den bisherigen 49 Milliarden Rüstungs­ausgaben im Haushalt 2022 sollen noch in diesem Jahr 100 Milliarden als Sondervermögen eingestellt werden, das der Bundeswehr über mehrere Jahre zur Verfügung stehen soll. Diese Summe entspricht den Ausgaben mehrerer Bundesministerien, darunter so wichtige Ressorts wie Gesundheit (16,03 Mrd.), Bildung und Forschung (19,36 Mrd.), Innen, Bau und Heimat (18,52 Mrd.), Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12,16 Mrd.), Wirtschaft und Energie (9,81 Mrd.), Umwelt (2,7 Mrd.), Zusammenarbeit und Entwicklung (10,8 Mrd.) sowie Ernährung und Land­wirtschaft (6,98 Mrd.). Zukünftig sollen dann dauerhaft 2% des Brutto­inlands­produkts für Rüstung ausgeben werden. Damit würden diese Ausgaben auf deutlich über 70 Milliarden Euro jährlich steigen. Gleichzeitig will die Bundes­regierung an der »Schulden­bremse« festhalten, was langfristig die Frage unserer demokratischen Prioritäten aufwirft und die Gefahr massiver Kürzungen im sozialen, im kulturellen, im öffentlichen Bereich mit sich bringt. Diese politische Weichenstellung zusätzlich mit einer Grundgesetz­verankerung auch für zukünftige Regierungen verpflichtend zu machen, lehnen wir im Namen der Demokratie ab. Nicht Hochrüstung, sondern Sicherheit und soziale Gerechtigkeit sind Auftrag des Grundgesetzes.

Die auf Jahr­zehnte geplante Hoch­rüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht und macht unsere Welt nicht fried­licher und nicht sicherer.

Wir fordern statt Entscheidungen, die quasi über Nacht und im kleinsten Kreis getroffen werden, die breite demokratische Diskussion über ein umfassendes Sicherheits­konzept, das die Sicherheit vor militärischen Angriffen genauso einschließt wie pandemische und ökologische Aspekte und dem das Konzept der Einheit von Sicherheit und gemeinsamer Entwicklung zugrunde liegt.

Wir sind konfrontiert mit Krieg und unendlichem Leid, mit Flucht, mit Armut und sozialer Unsicherheit, mit einer globalen Pandemie, die aufgezeigt hat, wie unsere Gesundheitssysteme auf Kante genäht sind, mit einer öffentlichen Infrastruktur, deren jahrzehnte­lange Vernachlässigung uns heute teuer zu stehen kommt, einer Kulturszene, die auf dem Zahnfleisch geht, und mit einer Klima­katastrophe, die genauso wenig vor Staats­grenzen Halt macht und immense Investitionen in Zukunfts­technologien und soziale Abfederung erforderlich macht. Die auf Jahrzehnte geplante Hochrüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht, macht unsere Welt nicht friedlicher und nicht sicherer. Wir können sie uns im Namen der Zukunft nicht leisten.