express 12/2022 erschienen!
Inhaltsverzeichnis
Gewerkschaften Inland
Betriebsspiegel
Hans-Christian Stephan: »Leipziger Allerlei« – Die Machtressourcen der Leipziger Logistikarbeiter:innen 6
Politik & Debatte
Wolfgang Völker: »Die Faulenzer sind zurück!« – Über Bürger und Geld 4
Internationales
RE-VISITED
Ena Bonar: »Vorwärts und oft vergessen – die Solidarität!« – Zu den Bündnissen gegen Hartz IV und andere Sozialkürzungen – aus express 8/2004 2
Rezensionen
Wolfgang Völker: »Neue Prüfungsordnung« – Reflexion der Bewegung der Gelbwesten mit Pierre Rosanvallon 14
Wolfgang Hien: »Fehlende Worte« – Über Slave Cubelas Geschichte der »Industriellen Leidarbeit« 15
Ulrich Maaz: » Widerstand gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur « – Zum Sammelband »Ist das System Tönnies passé?« 16
Editorial
Geneigte Leserinnen und Leser,
es ist schon fast traditionell in der Vorweihnachtszeit: Offenbar haben unsere Autor:innen deutlich mehr Zeit zum Lesen und in den Frankfurter Räumen gehen vermehrt Rezensionen ein. Das mag natürlich auch daran liegen, dass sich die Verlage bemühen, rechtzeitig zu Weihnachten entsprechend zu publizieren. Im Fall von Wolfgang Hiens Rezension zu Slave Cubelas im Januar 2023 erscheinender Publikation über »Arbeitsleid« (S. 15) ist das nicht so. Wolfgang Hiens Rezension des Manuskripts liegt uns schon seit geraumer Zeit vor, aber der Lektor des Buchs ist nicht in die Pötte gekommen. Auch Wolfgang Völkers Rezension zu »Die Prüfungen des Lebens« (S. 14) passt nicht in diese Kategorie, denn sie ist eher als Auseinandersetzung mit den Thesen Pierre Rosanvallons zu den zurückliegenden Protesten der Gilets Jaunes zu lesen.
Es gab Jahre, da ging das mit den Rezensionen so weit, dass der Dezember-express fast nur aus Buchbesprechungen bestand. Davon sind wir in diesem Jahr weit entfernt, im Gegenteil präsentieren wir ein poppig-postmodernes Potpourri aus Internationalem zu einer klima(bewegungs-)freundlichen Besetzung eines Autozulieferbetriebs in Italien (S. 9), der gar nicht so produktiven Automatisierung in der US-Hafenarbeit (S. 10) und dem gar nicht so demokratischen Organizing der »Organic Leaders« bei Jane McAleveys (S. 12). Und wir beschäftigen uns –der Vorweihnachtszeit angemessen – betrieblich mit den – ebenfalls arbeitsleidgeprüften – Beschäftigten bei Amazon bzw. anderen Warenlogistikern (S. 6f.) und bei Karstadt/Kaufhof (S. 1).
Da immer weniger Menschen zu letzteren gehen, um ihre Weihnachtsgeschenke zu besorgen, bringen die Geschenke oftmals nicht weiß-rot gekleidete Weihnachtsmenschen, sondern blau-gelbe (oder auch andere) Post- und Paketbot:innen. Ver.di hat zumindest für die Blau-Gelben die sympathische Lohnerhöhungsforderung von 15 Prozent gestellt (S. 5). Mal schauen, ob die Kolleg:innen postalisch abgehen – »Going postal« hat sich im US-amerikanischen Slang als Begriff eingebürgert, der Riots und Amokläufe beschreibt. Ein kleiner Hinweis auf die nicht gerade idealen Arbeitsbedingungen in der Branche (wir empfehlen, sich noch mal Jan Böhmermanns schönes Arbeiterlied von den »Versandsoldaten« anzuhören und -schauen).
Wir wissen natürlich nicht, wo ihr, geneigte Leserinnen und Leser, eure Weihnachtsgeschenke kauft. Aber gebt nicht alles aus, sondern lasst vielleicht auch für uns noch den einen oder anderen Euro übrig. Das läuft, so viel können wir verraten, schon ganz gut, dennoch haben wir auch der letzten Ausgabe unseres Jubiläumsjahrs nochmal einen Spendenaufruf beigelegt.
Der Dezember gilt als besinnlich, auch wenn die Innenstädte (Online-Versand hin oder her) nicht gerade Besinnlichkeit, sondern Stress assoziieren lassen. Das gilt auch für‘s express-Büro im grundsätzlich eher besinnungslosen Bahnhofsviertel: Vor Jahresablauf rechnen wir noch mal fleißig, treffen uns vereinsorganisatorisch und redaktionell, planen Aktivitäten für das kommende Jahr und produzieren die nun vorliegende Ausgabe sehr frühzeitig und somit auch mit höherem zeitlichen Druck– um ebendiesen aus der Druckerei zu nehmen und möglichst sicher zu stellen, dass das Blättchen auch rechtzeitig unterm Weihnachtsbaum liegt.
Wir hoffen, das hat auch dieses Jahr geklappt, und wünschen eine – dann aber wirklich – besinnliche Lektüre und Zeit! Damit das im neuen Jahr auch klappt mit dem ›Froh-und-munter-Sein‹.
Bildnachweis
Die Bildstrecke der vorliegenden Ausgabe stammt diesmal aus der Graphic Novel »Dreimal Spucken« von Davide Reviati, übersetzt von Myriam Alfano, erschienen im avant-verlag. Auf 562 schwarz-weißen Seiten, keine davon überflüssig, erzählt und zeichnet Davide Reviati die Geschichte dreier Berufsschüler und ihres von Langeweile und Trostlosigkeit geprägten Aufwachsens in der italienischen Provinz. In ihrer Nachbarschaft lebt eine Roma-Familie. Insbesondere zu Loretta, der Tochter der Familie, fühlen sich die drei Jungs hingezogen, zugleich aber auch von ihr abgestoßen. So vermischen sich in der mal nüchternen, mal traumhaften Darstellung Alltagsrassismus, Gewalt und Anziehungskraft, mal als psychische Übertragung, mal physisch ausgelegt und -gelebt. Der Antiziganismus der drei Protagonisten und der anderen Dorfbewohner:innen wird dabei immer wieder auf eindrückliche Weise durch historische Verweise auf den Völkermord an Sinti und Roma kontextualisiert, die Einheitskonstruktion des »Gadje«-Blicks auf »die Zigeuner« dabei zugleich durchbrochen durch die Geschichte und Geschichten der Familie Lorettas.
Eine gelungene Montage und Einladung, es nicht mit den Dorfbewohnern zu halten: »Die machen Feuer im Haus. Und geben mit ihren Karossen an wie die Fürsten. Mehr weiß ich auch nicht. Und das ist schon zu viel. (…) Zigeuner eben. Was braucht man da zu wissen?«
Wir danken Verlag, Autor, Übersetzerin sowie Filip Kolek, unserem Inspirator und stets zuverlässigen Vermittler in Sachen Graphic Novel!
Davide Reviati: Dreimal Spucken,
avant-verlag, Berlin 2020. 562 Seiten,
ISBN: 978-3-96445-042-5, 34 Euro.