express 9-10/2025 erschienen!
Inhalt
Gewerkschaften Inland
Marcus Schwarzbach: »Gegen den Acht-Stunden-Tag und Gewerkschaften« – Strategisches Vorgehen im Unternehmensinteresse 1
Wolfgang Hien: »Viele uneingelöste Versprechungen« – 100 Jahre Berufskrankheitenverordnung 17
Andreas Bachmann: »Eigentor absehbar« – Mitgliedervorteile in Tarifverträgen 18
Slave Cubela: »Siege ohne Fortschritt« – Kritik des Schlüsselpersonen-Konzepts im Organizing 20
Betriebsspiegel
Hans-Christian Stephan: »Sind Roboter Arbeiter:innen?« – Amazons Automatisierungsstrategie 12
Philipp Försch: »Prekäre Arbeitsbedingungen, kaum Mitbestimmung« – Hilfskräfteräte an hessischen Hochschulen 15
Arbeitsrechte in prekären Lebenslagen (9)
Politik und Debatte
Lars Hirsekorn: »Wir müssen lernen« – Rede auf der Betriebsversammlung von VW 4
Thorsten Donnermeier: »Besser wäre, wir würden entscheiden« – Rede zum Antikriegstag 4
Kirsten Rautenstrauch: »Kriegsdienst im Krankenhaus« – Rede zum Arbeitssicherstellungsgesetz 5
Internationales
Rose Roach: »Zunahme privater Krankenversicherer verhindern« – US-Gewerkschaften für Medicare 6
Jenny Brown: »Arbeit verunmöglicht, Kritiker kaltgestellt« – Beschäftigte der US-Bundesbehörden schlagen Alarm 7
Kari Thompson: »War on Wind Revolution« – Verlust zehntausender Arbeitsplätze und klimafreundlicher Energie 8
Bewegung mit Recht (Folge 34)
René Kluge: »Flexibilität als Verschleierung« – Sprachstrategien für die Ausweitung des Arbeitstages 22
Rezensionen
Finn Gölitzer: »Kampf um ›disposable time‹« – Kathrin Birners und Stefan Dietls Geschichte und Theorie der Arbeitszeit 23
Achim Teusch: »Viele Leuchtfeuer, aber kein Flächenbrand« – Kalle Kunkels Analyse des Kampfs in Krankenhäusern 24
Editorial
Geneigte Leserinnen und Leser,
es braucht keinen »Shutdown« für einen Shutdown. Das zeigen in dieser Ausgabe nicht nur drei Beiträge aus den USA, die die Frage der Systemrelevanz allerdings anders diskutieren, als die Trump-Regierung sie versteht (S. 6-8). Deren noch in der DOGE-Ära seines Buddies Musk im gewohnten Erlassstil dekretierte »Durchführungsverordnungen« richteten sich gegen die Arbeit von Einrichtungen, die in erster Linie Aufgaben der öffentlichen Daseinsversorgung und bislang oft kostenlose Dienstleistungen für Bürger:innen übernehmen, die – wie unsere US-Kolleg:innen von Labor Notes schreiben – von gewinnorientierten Unternehmen bislang nicht übernommen werden und werden können.
Das reicht von der Entwicklungshilfe über den Umwelt- und Verbraucherschutz, die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz sowie die Krankenversicherung bis zu Post, Steuerbehörden, Wetterdiensten, Energieversorgung oder NASA. Deren Arbeitsfähigkeit und Existenz ist mit der Entlassung von rund einer Million Beschäftigten und massiven Budgetkürzungen in Frage gestellt – in Verbindung mit der ebenfalls dekretierten Abschaffung von Streik- und Gewerkschaftsrechten beste Voraussetzungen, um kritische Stimmen (auch gegenüber der Regierungspolitik) zum Schweigen zu bringen und ihre Ökonomisierung, Privatisierung und Umwandlung in Geschäftsfelder gewinnorientierter Unternehmen voranzutreiben.
Doch es regt sich Protest, nicht nur in den USA, sondern auch in anderen autoritären Regimen – selbst in Russland, wie ein Interview mit Oleg Schein über Arbeitskämpfe und -rechte unter den Bedingungen von Diktatur und Kriegsökonomie zeigt (S. 9). Der enge Zusammenhang zwischen Sozialabbau, Entdemokratisierung und Militarisierung im Inneren und nach außen ist Gegenstand der Reden von Kolleg:innen aus VW-Betrieben (S. 4) und Krankenhäusern (S. 5), die wir dokumentieren. Sie verhandeln auch die Frage, wen und was die Beschäftigten dort verteidigen sollen: Arbeitsplätze, den Standort, die »nationale Resilienz«?
Doch nicht nur Beschäftigte und Gewerkschaftsfunktionär:innen müssen sich fragen, was Verteidigungsfähigkeit heißt, auch die Linke braucht eine Debatte darüber, meinen wir. Bernd Gehrke sieht das in seinem Leserbrief ähnlich und denkt dabei vor allem an Demokratie, Menschen- und Bürgerrechte (S. 13).
Ob diese, ebenso wie Arbeiterrechte, im nationalen Rahmen gut aufgehoben sind, kann bezweifelt werden. Fragen von Nation und Krieg verleiten zur Freund-Feind-Identifikation. Die steht den »vaterlandslosen Gesellen« nicht so gut, hat mal jemand im 19. Jahrhundert diese Art von Lagerlogik kommentiert. »Sag mir, wo Du stehst« ist nicht umsonst eines der schlimmsten Lieder des »Oktoberklubs«, des parteitreuen DDR-Gesangsvereins. Zu genießen ist es höchstens in der ironischen Variante des Bandkollektivs Corazón auf ihrer CD »Scheiß-Autoreferentialität«.
Abseits dieser weltpolitischen Fragen ist unsere Doppelausgabe nicht arm, sondern übervoll an Arbeit: Ob der Kampf um Arbeits- und Sozialrechte »Schlüsselpersonen« (S. 20) oder Robotern (S. 12) überlassen werden sollte, ob das Engagement für sie mit ökonomischen Anreizsystemen stimuliert (S. 18) oder delegiert werden kann (S. 15), was diejenigen, die Dönerspieße oder anderes Convenience-Food zusammenbauen, ausliefern und essen, damit zu tun haben (S. 10, 14), wie viel Zeit wir dafür überhaupt noch haben werden, wenn es nach den Plänen der Bundesregierung geht (S. 1, 22, 23), und ob unserer angeschlagenen Gesundheit dann die hundert Jahre alt gewordene Berufskrankheitenverordnung hilft (S. 17).
Am Ende gilt dann vielleicht doch: Alles muss man (besser) selber machen. Ihr jetzt erstmal: lesen – wir wünschen zündende Ideen!
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In der Umgebung von Valjevo, einer kleineren Stadt südlich von Belgrad in Serbien, gibt es große Vorkommen an Boraten. Das sind Salze, die als wichtiger Rohstoff für die Herstellung von Glasfasern eine entscheidende wirtschaftliche Bedeutung haben. Auch Lithium gibt es dort, das unter anderem für Akkumulatoren in Elektrofahrzeugen gebraucht wird. Diverse Firmen, darunter Rio Tinto, haben bereits vor Jahren verlautbart, in Valjevo Lithium abbauen zu wollen.
Bei Probebohrungen kam es zur Verunreinigung des Grundwassers, wogegen die Bewohner der Stadt demonstrierten. Serbien soll Ressourcen von immerhin einer Million Tonnen Lithium haben. Im Vergleich dazu verfügt die Republik Kongo über Vorkommen von drei Millionen Tonnen, die USA über 26 Millionen, Schätzungen zufolge sogar über 120 Millionen Tonnen.
Das hoch verschuldete Serbien steht wegen seiner Rohstoffvorkommen im Fokus der Interessen der EU, allen voran Deutschlands, genauso aber Chinas.
Im April 2023 war es in Valjevo warm und staubig. Auf der Strecke zur Stadt hin fällt das riesige Schild mit chinesischen Schriftzeichen am Hang vor dem Wald auf: ein Schriftzug der chinesischen Shandong Expressway. LKW fuhren ohne Unterlass. Es wurde ein Autobahnzubringer gebaut entlang des Feuchtgebiets bei Valjevo.
Serbien ist ein umkämpftes Land. Die politische Situation ist seit dem 1. November 2024, als ein Dach in Novi Sad einstürzte, eine andere geworden. Seitdem protestieren hunderttausende Menschen gegen die Korruption der Regierung Vučić.
Bei den Protesten in Valjevo kam es vom 14. auf den 15. August 2025 zu Polizeigewalt. »Ein Teil der Demonstranten lieferte sich dabei Berichten zufolge Auseinandersetzungen mit der Polizei. Eine Gruppe griff demnach am Abend das dortige Büro der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) an und setzte es in Brand«, schrieb die Tagesschau online. Wie das unabhängige serbische Nachrichtenportal Masina berichtet, setzte die SNS gezielt Hooligans gegen Demonstrierende ein.
Und wie verhält es sich mit den Verbindungen zwischen diesem sich wandelnden Serbien und Deutschland? Würde man ein Netzwerk zeichnen, ließen sich Linien ziehen von Serbien zur Vulcan Energie Ressourcen GmbH mit Sitz in Karlsruhe, zu den Geothermal- und Lithium-Pumpstationen von Vulcan in der Rheinischen Tiefebene, zum Vulcan-Partner BASF in Ludwigshafen und zur Lithiumanlage von Vulcan in Frankfurt-Höchst. Man könnte sie verlängern zu den Standorten von Volkswagen, wo Elektroantriebe hergestellt werden, in denen Akkumulatoren verbaut werden.
Die Bilder in dieser Ausgabe des express zeigen die Umgebung von Valjevo, jene Orte also, die womöglich bald dem Lithiumabbau weichen werden. Und sie zeigen exemplarisch die Verbindungen zur Industrie in Deutschland, die darauf setzt, bald von ihm zu profitieren.
Wir danken Matze Schmidt sehr herzlich für die Überlassung der Bilder! Ein eBook zum Thema mit Fotos und Texten von ihm wird demnächst unter http://matzeschmidt.de/ abrufbar sein.

