Inhalt
Gewerkschaften Inland
Jürgen Schardt: »Sozialpartnerschaft: zähneknirschend?« – zum Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie 6
Nikolai Huke: »Verführung zum Rechtsbruch« − ein Gespräch mit Justyna Oblacewicz über Arbeitsrechte in prekären Lebenslagen 3
Betriebsspiegel
»Hey, wir müssen was anderes bauen!« – Diskussion zum Film »Verkehrswendestadt Wolfsburg« 4
Lars Hirsekorn, Johanna Schellhagen und Tobi Rosswog: »Dem Winter widerstehen, den Frühling erringen« – Ex-GKN Florenz gründet Genossenschaft 6
Wolfgang Hien: »Chemische Industrie im deutschen Faschismus und I.G. Auschwitz« – eine Erinnerung, Teil I 13
Politik und Debatte
Torsten Bewernitz: »Das Sein bestimmt das Wahlverhalten?« – Anmerkungen zu »Klassenbewusstsein und Wahlentscheidung« 9
Nadja Rakowitz: »Das Gegenteil von gut« – zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz 10
Rudolf Walther: »Immer noch aktuell« – Tagung zu Oskar Negt am Institut für Sozialforschung 16
Bewegung mit Recht
René Kluge: »Die implodierte Ampel-Regierung« – Ein gefährliches Vakuum in der Beschäftigungspolitik 8
Kurzes
Leserbrief 12
Antipasti 5, 12
Dringliches 12
Editorial
Geneigte Leserinnen und Leser,
Science Fiction ist immer dann besonders interessant, wenn sie in sehr naher Zukunft spielt. Beispielsweise Matt Ruffs 1998 erschienene »Trilogie der Stadtwerke«, das im vergangenen Jahr 2023 spielt, in dem eine Künstliche »Intelligenz« (Problem: sie ist tatsächlich intelligent) aus dem Hause Disney und vor allem von Ayn Rand inspirierte Ultra-Kapitalisten eine wesentliche Rolle spielen. Mit entsprechendem zeitlichen Abstand als Gegenwartsroman gelesen, ergibt das einige Aha-Effekte und einige (manchmal zynische) Lacher bezüglich der nicht in Erfüllung gegangenen Vorhersagen. So ist in Matt Ruffs 2023 beispielsweise (Achtung Spoiler!) Donald Trump tot.
Ähnlich ging es auch dem Filmkollektiv labournet.tv, das 2022 in »Der laute Frühling« die soziale Revolution auf das laufende Jahr 2024 verlegte. Die dargestellte Vereinbarung mit russischen Arbeiterräten über die weitere Lieferung von Gas erschien schon wenige Wochen nach Erscheinen in einem anderen Licht. Eine Szene ist aber bei allem utopischen Charakter nicht so weit entfernt von den tatsächlichen aktuellen Ereignissen:
»Hi. Wir sind hier bei VW in Wolfsburg. Die Arbeiter:innen hier brauchen unseren Support. Sie haben gestern die Fabrik besetzt und sind seitdem hier vor Ort, um die Maschinen zu bewachen. Jetzt kommt immer mehr Polizei und wir haben eben auf der Brücke sogar einen Panzer gesehen. Es ist essenziell wichtig, dass wir diese großen Fabriken nicht verlieren, denn hier kann praktisch alles produziert werden, von Beatmungsgeräten bis zu Solarzellen. Wir brauchen hier dringend viel mehr Unterstützung. Kommt zu Tor 5 […].«
Wenn es in naher Zukunft tatsächlich ähnlich klingen sollte, hätte das zwar einen anderen Hintergrund, aber ebenso viel mit der aktuellen Klimapolitik zu tun wie in dem zitierten Film. Das wird in Stephan Krulls Überblicksartikel zur Situation bei VW deutlich (S. 1). Ergänzt haben wir den Beitrag durch ein gekürztes Skript einer Diskussionsveranstaltung, die labournet.tv zu dem neuen Film »Verkehrswendestadt Wolfsburg« am 5. November 2024 durchgeführt hat (S. 4).
Nachrichten von Stellenabbau und Protesten dagegen, vor allem in der Autoindustrie, haben sich in den vergangenen Wochen gehäuft. Das wird sicher nicht zur sozialen Revolution führen und für einen heißen Herbst ist es ein wenig spät. Vielleicht aber lässt sich tatsächlich ein etwas lauterer Frühling als üblich einleiten. Immerhin könnten auch die TVöD-Runde Bund und Kommunen und der – egal in welcher Regierungskoalition – geplante Sozialabbau eine Rolle spielen. Anlässlich der zur Wahl stehenden Alternativen für Deutschland lässt dies zumindest express-Redakteur Torsten Bewernitz jedoch recht wenig erwarten (S. 9).
Aber so oder so: Da kommen soziale Kämpfe auf uns zu. Also vorher noch mal im warmen Winterstübchen mit einer heißen Tasse Aufputschmittel vor den flackernden Weihnachtskerzen den express durchstudieren – und dabei auch den beigelegten Spendenbrief bitte beachten. Wir wünschen einen geruhsamen Jahresausklang.
Bildnachweis
Für die Diskussion über den sog. Rechtsruck (der so ruckartig nicht ist), die Wählerbasis der AfD und rechte Orientierungen auch unter Lohnabhängigen und in Gewerkschaften kann die Beschäftigung mit dem Aufstieg der NSDAP und der Machtbasis bzw. Trägerschaft des Nationalsozialismus hilfreich sein – dazu haben wir in dieser Ausgabe zwei Beiträge: zur Rolle des Mittelstands in ländlichen Kleinstädten und zur Rolle der Chemieindustrie. Beide trotz unterschiedlicher Motive Profiteure und Akteure der Abschaffung von Arbeits- und Sozialrechten, der Vernutzung von bis hin zur Vernichtung durch Arbeit, die ihren systematischen Ausdruck im KZ Mauthausen mit seiner berüchtigten »Todesstiege« im Granitsteinbruch der »Deutschen Erd- und Steinwerke« fand. Die Einbettung des KZs in die lokale und nationale Ökonomie, ebenso wie den unverhohlenen Voyeurismus, den die örtliche Bevölkerung bei der Beschau der »schwerbelasteten, unverbesserlichen und auch gleichzeitig kriminell vorbestraften und asozialen, das heißt kaum noch erziehbaren Schutzhäftlinge« (Heydrich) auf dem Weg zu ihren Arbeitsplätzen (u.a. bei Steyr-Daimler-Puch oder den Reichswerken Hermann Göring, heute Voest in Linz) an den Tag legte, schildert die Grafic Novel »Der Fotograf von Mauthausen«. Rund 120.000 der knapp 200.000 Inhaftierten kamen durch das Zwangsarbeitsprogramm in Mauthausen und seinen Außenlagern ums Leben. Dass es Überlebende gab und dass diese trotz aller Bemühungen der Nazis, Beweise zu vernichten, berichten konnten, ist einer Widerstandsgruppe zu verdanken, der auch der Spanier Francisco Boix angehörte. Unter schwierigsten Bedingungen gelang es ihnen, Negative von Fotos, die Boix im Auftrag des SS-Hauptscharführers Ricken anfertigte, aus dem Lager zu schmuggeln. Dessen Interesse an einer Ästhetisierung des Todes wurde in den Händen der Widerständler so zu einer Flaschenpost, die zwar nicht von der KP, aber – viel später – u.a. in den Nürnberger Prozessen genutzt werden konnte. So viel zum Totalitarismus.
Herzlich bedanken möchten wir uns bei bahoe books für die Überlassung der Illustrationen, die hoffentlich dazu anregen, die ganze Geschichte zu lesen – samt 50 Seiten sehr informativem Anhang.