Der express 10/2021 ist erschienen!

Gesamtausgabe zum Download

Inhalt:

Gewerkschaften Inland

Marvin Hopp: »Zum Auftakt eine Besetzung« – Tarifrunde der Länder 3

Szabolcs Sepsi, Anna Szot: »Das Arbeitschutzkontrollgesetz in der Praxis« – Eine erste Bilanz 6

Anton Kobel: »Vorteil Kapital« – Tarifverhandlungen im Handel 11

Betriebsspiegel

Stefan Schoppengerd: »Durchhalteermöglichungssolidarität« – Aktueller Stand der Krankenhausbewegung 2

Tobias Salin: »Betriebsbegehung« – Beteiligung statt Freistellung 5

ALSO: »Die Lage der überausgebeuteten Klasse« – Zur Situation in der Fleischindustrie 8

Torsten Bewernitz: »Diverse Streiks« – Auseinandersetzungen bei Gorillas 10

»Auf den letzten Metern« – Karin Zennig im Gespräch mit Tina Morgenroth über Amazon 12

Politik & Debatte

AG Wahlbeobachtung: »Ein politischer Klimawandel?« – Zur Bundestagswahl 14

AG Wahlbeobachtung: »Wahlverhalten der Gewerkschaftsmitglieder« 16

AG Wahlbeobachtung: »Wo und wie sonst noch gewählt wurde« – Berlin und Mecklenburg-Vorpommern 17

AG Wahlbeobachtung: »Der Lichtblick« – Volksentscheid Vergesellschaftung in Berlin 17

»… da habe ich gesagt, da müssen wir hin!« – Gespräch mit Edith Marcello 18

»Remaking Class and Gender« – Vier Fragen an Gaby Babić 19

Karin Zennig: »Kein Friede, nirgends« – Aktionstag gegen Waffenhandel

Bewegung mit Recht

René Kluge: »Money for nothing?« – Betriebsratsgehälter: Zu hoch oder zu niedrig? 4

Internationales

Isabella Consolati: »Coronaproteste und falsche Freunde« – Rechtsextremer Angriff auf CGIL 1

Rezensionen

Heiner Dribbusch: »Von gesellschaftlich notwendiger Arbeit« – Berichte aus der Klassengesellschaft 13

Editorial

Geneigte Leserinnen und Leser,

ein bisschen Enthusiasmus, bitte: Am 13. Oktober 2021 ist Captain Kirk ins Weltall geflogen. Wirklich und in echt!

Und nun ist auch gut mit Enthusiasmus, werden wir mal wieder historisch-materialistisch: Erstens war es ja gar nicht Captain Kirk, der ins All geflogen ist, sondern der 90-jährige Schauspieler William Shatner, zweitens hieß das Raumschiff nicht Enterprise, sondern New Shepard, drittens dauerte die Mission nicht fünf Jahre, sondern lediglich zehn Minuten, und viertens flog das Raumschiff nicht im Auftrag einer quasisozialistischen Planetenföderation, sondern im Auftrag des kommerziellen Unternehmens Blue Origin, das einem gewissen Jeff Bezos gehört. Zwanzig ehemalige und auch aktuelle Mitarbeiter:innen dieser Firma hatten erst kurz zuvor davor gewarnt, mit Blue Origin zu fliegen.

Grund für diese Warnung waren eklatante Sicherheitsmängel. Die Kritik der ehemaligen Bezos-Intimen geht aber weit darüber hinaus: Die Atmosphäre sei toxisch, sexistisch, dazu auch noch ökologisch bedenklich. Burnout sei Teil der Arbeitsstrategie, Kritik bei Betriebsversammlungen müsse man persönlich vor Vorgesetzten rechtfertigen. Das Entscheidende: Bei Blue Origin werde ein Arbeitsklima kultiviert, das „das Schlechteste in unserer heutigen Welt zum Vorschein bringt“.

Was für Blue Origin gilt, gilt natürlich auch für amazon. Karin Zennig spricht in der vorliegenden Ausgabe mit Tina Morgenroth, Co-Autorin der Studie „amazons letzte Meile“ (S. 12), auch das in Bälde bei uns rezensierte Buch „Das Prinzip amazon“ von Sabrina Apicella legt den Finger in die gleiche Wunde.

Captain Kirk – Verzeihung – William Shatner übrigens beschreibt seine Weltall-Erfahrung so: „Was ich wirklich jedem sagen will, ist, wie gefährdet und zerbrechlich alles ist“ (Spiegel, 14. Oktober 2021). Gefährdet? Zerbrechlich? Die Soziologie spricht bei sowas von „Prekarität“. Gefährdet und zerbrechlich sind nicht nur die Mitarbeiter:innen von Blue Origin und amazon, sondern auch die Pflegenden in den Krankenhäusern (S. 3), die Riders von Gorillas (S. 10), die Einzelhandelsbeschäftigten (S. 11), die studentischen Hilfskräfte (S. 2)… Aber sie alle wissen sich zu wehren, ob mit oder ohne Betriebsrat.

Prekär bleibt auch die Existenz des express in seinem 59. Jahr. Aber auch wir wissen uns zu helfen: U.a. mit dem Spendenaufruf, der der aktuellen Ausgabe beiliegt. Und ob wir auch wandern in finsterem Tal, ganz hoffnungslos ist die Situation nicht – Eure Unterstützung, geneigte Leserinnen und Leser, ist schon jetzt erfreulich. In diesem Sinne verabschieden wir uns mal wieder bis Ende November mit einem herbstlichen: Frieden und ein langes Leben! Ps.: Nicht vergessen: Entwaffnet Heckler&Koch, Rheinmetall und all die anderen! (S. 20)

Bildnachweise

a common visual language

A common visual Language ist 2012/13 als Abschlussarbeit des Bachelor-Studiums visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee entstanden. Massenproteste und Besetzungen von öffentlichen Räumen überall auf der Welt hatten in dieser Zeit Hochkonjunktur. Ausgehend von Tunesien schwappte eine Protestwelle durch den Maghreb; ein paar Monate später füllten sich die Puerta del Sol in Madrid und der Syntagma-Platz in Athen mit Menschen und Tränengas. Die Occupy-Bewegungen in den Vereinigten Staaten hatten eine hohe Strahlkraft in viele Teile der Welt: Zypern, Portugal, Bulgarien, die Türkei, Brasilien. Die Proteste und Bewegungen beziehen sich solidarisch aufeinander, tauschen digitale Nachrichten aus und stellen grundlegende Fragen der gesellschaftlichen Organisation neu: Was ist die Verbform der Demokratie? Wie kann ein Arbeitsloser streiken? Was ist der Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Gleichheit? Wie funktioniert die Vergemeinschaftung? Warum gehen wir davon aus, dass Identität ein singuläres Thema ist? Das Wörterbuch einer gemeinsamen visuellen Sprache ist ein Ausgangspunkt, von dem aus Fragen der Protestbewegungen auf der Grundlage bestehender Bilder und subjektiver Bewertungen visualisiert werden.

Als Teil der Mobilisierung zu Blockupy Frankfurt 2012 stand Lena Ziyal in engem Austausch mit Aktivist:innen der Krisenproteste in verschiedenen süd- und osteuropäischen Ländern. Während einer Vielzahl von Konferenzen, Austauschtreffen und virtuellen Zusammenkünften ist der Wunsch nach einer gemeinsamen Sprache wiederholt aufgetaucht. Lena Ziyal hat im Kontext der gemeinsamen politischen Arbeit insgesamt 50 Begriffe herausgefiltert, die konstitutiv für die Debatten der damaligen Bewegungen waren. Zu jedem dieser Begriffe hat sie Symbole erschaffen, die nicht nur vorhandene Diskussionen abbilden, sondern zugleich einen Beitrag darstellen. Die Weiterentwicklung und kritische Fragestellungen standen für sie im Zentrum ihrer Arbeit.

Lena Ziyal ist Illustratorin und Grafikdesignerin. Als Teil der kollektiv geführten Agentur für Content- und Grafikdesign Infotext beschäftigt sie sich mit der visuellen Interpretation komplexer Inhalte. Bevor sie sich Infotext anschloss, arbeitete sie als freie Grafikdesignerin und visuelle Künstlerin in Berlin und Istanbul. Sie absolvierte den Studiengang visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und studierte darüber hinaus an der Universität der Künste (Kunst im Kontext, Berlin) und an der Marmara Universität (grafische Künste, Istanbul). Im Studio Mustafa Yildirim (Istanbul) und im Atelier Saeed Ensafi (Teheran) vertiefte sie ihre Fähigkeiten im Bereich Zeichnung und Druckgrafik.