Ist Kontinuität für sich genommen ein Grund zur Gratulation? Sicher nicht – im Spektrum der außerparlamentarischen Linken – vor 1968 hätte man gesagt „heimatlosen Linken“ – jenseits von organisierter Sozialdemokratie und Parteikommunismus aber sicher schon. Das dem so ist, hat sowohl mit der oppositionellen Linken in der Bundesrepublik wie auch mit der deutschsprachigen linksradikalen Publizistik zu tun.
Politische Zeitschriften sind Organisationskerne der Linken – einmal weil Redaktionen selbst als politische Gruppen verstanden werden können und zum anderen weil sich um Zeitschriften Strömungen und Bewegungen gruppieren, die immer fluide und anlassbezogen agieren und ohne solche Organisationskerne schnell verschwinden würden. Zudem sind sie wichtige Orte der Vernetzung und Teil eines linksradikalen Pluralismus, der auf Meinungs-, Wissens- und Informationsaustausch jenseits des Mainstreams baut.
Sich anders als in Parteistrukturen zu organisieren, dass war angesichts der Entwicklungen innerhalb der Sozialdemokratie und des Parteikommunismus in der Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre politisch angesagt. Mit ihrer Kritik am Marxismus und der Weiterentwicklung der Organisationsdebatte wurde die linke Opposition in dieser Zeit zur Neuen Linken. Kritische, nonkonformistische Stimmen mussten sich allerdings selbst Gehör verschaffen, das Konzept Gegenöffentlichkeit beruht genau auf diesem Moment der Selbstorganisation.
1962 entstand in Frankfurt am Main die Zeitschrift express international – maßgeblich unter Beteiligung des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale, dessen deutsche Sektion später als GIM (Gruppe internationaler Marxisten) firmieren sollte. 1966 fusionierte der express international mit der SoPo (Sozialistische Politik), was den Einfluss der Trotzkist*innen in der Redaktion noch verstärkte. 1972 dann der Zusammenschluss mit der Sozialistischen Betriebskorrespondenz zum express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit unter dem Dach des Sozialistischen Büros in Offenbach. In einer gemeinsamen Erklärung der Redaktionen des express-international und der Sozialistischen Betriebskorrespondenz vom Dezember 1972 heißt es zur Fusion, dass auch das neue Projekt express „jene Arbeit in den Betrieben und Gewerkschaften (…) unterstützen (will), die konsequent an der Durchsetzung der Interessen der Lohn- und Gehaltsabhängigen festhält und aus diesem Kampf gegen kapitalistische Produktions- und Herrschaftsverhältnisse eine sozialistische Strategie entwickelt.“ Dieser „sozialistischen Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit“ sieht sich der express bis heute verpflichtet, hat er doch den entsprechenden Untertitel der Zeitung trotz oder vielleicht gerade wegen der zahlreichen Debatten darüber beibehalten.
All das wird in dieser Jubiläumsausgabe und der Geburtstagskonferenz im Oktober diesen Jahres sicher genauer beleuchtet und ist im vorzüglichen, zunehmend wachsenden Online-Archiv des SB auf der Webseite des express sowie auf den Seiten der MAO-Datenbank nachzulesen und dokumentengestützt zu recherchieren.
Während sich der Einfluss des Sozialistischen Büros in den 1980er Jahren verflüchtigte und zahlreiche Publikationsprojekte eingestellt wurden, gibt es den express – neben den Widersprüchen – als einziges Projekt aus dem SB weiterhin. Das ist angesichts prekärer Produktionsbedingungen tatsächlich eine große Leistung. Und nicht nur das: Der express mischt sich bis heute als oppositionelle Stimme in betriebliche und gewerkschaftliche Debatten ein, hat eine starke Verbindung zur Gewerkschaftsopposition und bietet dieser einen wichtigen und unverzichtbaren Ort zur Debatte.
Es gratuliert die Redaktion von Sozial.Geschichte Online